Page - 21 - in Briefe an den Vater
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jungen Jahren – das ist das Wichtigste – von zu Hause wegging, heiratete,
Kinder bekam, sie wurde fröhlich, unbekümmert, mutig, freigebig,
uneigennützig, hoffnungsvoll. Fast unglaublich ist es, wie Du eigentlich diese
Veränderung gar nicht bemerkt und jedenfalls nicht nach Verdienst bewertet
hast, so geblendet bist Du von dem Groll, den Du gegen Elli seit jeher hattest
und im Grunde unverändert hast, nur daß dieser Groll jetzt viel weniger
aktuell geworden ist, da Elli nicht mehr bei uns wohnt und außerdem Deine
Liebe zu Felix und die Zuneigung zu Karl ihn unwichtiger gemacht haben.
Nur Gerti muß ihn manchmal noch entgelten.
Von Ottla wage ich kaum zu schreiben – ich weiß, ich setze damit die
ganze erhoffte Wirkung des Briefes aufs Spiel. Unter gewöhnlichen
Umständen, also wenn sie nicht etwa in besondere Not oder Gefahr käme,
hast Du für sie nur Haß; Du hast mir ja selbst zugestanden, daß sie Deiner
Meinung nach mit Absicht Dir immerfort Leid und Ärger macht, und
während Du ihretwegen leidest, ist sie befriedigt und freut sich. Also eine Art
Teufel. Was für eine ungeheure Entfremdung, noch größer als zwischen Dir
und mir, muß zwischen Dir und ihr eingetreten sein, damit eine so ungeheure
Verkennung möglich wird. Sie ist so weit von Dir, daß Du sie kaum mehr
siehst, sondern ein Gespenst an die Stelle setzt, wo Du sie vermutest. Ich gebe
zu, daß Du es mit ihr besonders schwer hattest. Ich durchschaue ja den sehr
komplizierten Fall nicht ganz, aber jedenfalls war hier etwas wie eine Art
Löwy, ausgestattet mit den besten Kafka’schen Waffen. Zwischen uns war es
kein eigentlicher Kampf; ich war bald erledigt; was übrigblieb war Flucht,
Verbitterung, Trauer, innerer Kampf. Ihr zwei waret aber immer in
Kampfstellung, immer frisch, immer bei Kräften. Ein ebenso großartiger wie
trostloser Anblick. Zu allererst seid ihr Euch ja gewiß sehr nahe gewesen,
denn noch heute ist von uns vier Ottla vielleicht die reinste Darstellung der
Ehe zwischen Dir und der Mutter und der Kräfte, die sich da verbanden. Ich
weiß nicht, was Euch um das Glück der Eintracht zwischen Vater und Kind
gebracht hat, es liegt mir nur nahe zu glauben, daß die Entwicklung ähnlich
war wie bei mir. Auf Deiner Seite die Tyrannei Deines Wesens, auf ihrer Seite
Löwyscher Trotz, Empfindlichkeit, Gerechtigkeitsgefühl, Unruhe, und alles
das gestützt durch das Bewußtsein Kafka’scher Kraft. Wohl habe auch ich sie
beeinflußt, aber kaum aus eigenem Antrieb, sondern durch die bloße Tatsache
meines Daseins. Übrigens kam sie doch als letzte in schon fertige
Machtverhältnisse hinein und konnte sich aus dem vielen bereitliegenden
Material ihr Urteil selbst bilden. Ich kann mir sogar denken, daß sie in ihrem
Wesen eine Zeitlang geschwankt hat, ob sie sich Dir an die Brust werfen soll
oder den Gegnern, offenbar hast Du damals etwas versäumt und sie
zurückgestoßen, Ihr wäret aber, wenn es eben möglich gewesen wäre, ein
prachtvolles Paar an Eintracht geworden. Ich hätte dadurch zwar einen
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Briefe an den Vater
- Title
- Briefe an den Vater
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1919
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 40
- Categories
- Weiteres Belletristik