Page - 34 - in Briefe an den Vater
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war da etwas an mir Sechsunddreißigjährigem, dem noch geschadet werden
konnte. Ich meine damit eine kleine Aussprache an einem der paar
aufgeregten Tage nach Mitteilung meiner letzten Heiratsabsicht. Du sagtest zu
mir etwa: »Sie hat wahrscheinlich irgendeine ausgesuchte Bluse angezogen,
wie das die Prager Jüdinnen verstehn, und daraufhin hast Du Dich natürlich
entschlossen, sie zu heiraten. Und zwar möglichst rasch, in einer Woche,
morgen, heute. Ich begreife Dich nicht, Du bist doch ein erwachsener
Mensch, bist in der Stadt, und weißt Dir keinen andern Rat als gleich eine
Beliebige zu heiraten. Gibt es da keine anderen Möglichkeiten? Wenn Du
Dich davor fürchtest, werde ich selbst mit Dir hingehn.« Du sprachst
ausführlicher und deutlicher, aber ich kann mich an die Einzelheiten nicht
mehr erinnern, vielleicht wurde mir auch ein wenig nebelhaft vor den Augen,
fast interessierte mich mehr die Mutter, wie sie, zwar vollständig mit Dir
einverstanden, immerhin etwas vom Tisch nahm und damit aus dem Zimmer
ging.
Tiefer gedemütigt hast Du mich mit Worten wohl kaum und deutlicher mir
Deine Verachtung nie gezeigt. Als Du vor zwanzig Jahren ähnlich zu mir
gesprochen hattest, hätte man darin mit Deinen Augen sogar etwas Respekt
für den frühreifen Stadtjungen sehen können, der Deiner Meinung nach schon
so ohne Umwege ins Leben eingeführt werden konnte. Heute könnte diese
Rücksicht die Verachtung nur noch steigern, denn der Junge, der damals einen
Anlauf nahm, ist in ihm steckengeblieben und scheint Dir heute um keine
Erfahrung reicher, sondern nur um zwanzig Jahre jämmerlicher. Meine
Entscheidung für ein Mädchen bedeutete Dir gar nichts. Du hattest meine
Entscheidungskraft (unbewußt) immer niedergehalten und glaubtest jetzt
(unbewußt) zu wissen, was sie wert war. Von meinen Rettungsversuchen in
anderen Richtungen wußtest Du nichts, daher konntest Du auch von den
Gedankengängen, die mich zu diesem Heiratsversuch geführt hatten, nichts
wissen, mußtest sie zu erraten suchen und rietst entsprechend dem
Gesamturteil, das Du über mich hattest, auf das Abscheulichste, Plumpste,
Lächerlichste. Und zögertest keinen Augenblick, mir das auf ebensolche
Weise zu sagen. Die Schande, die Du damit mir antatest, war Dir nichts im
Vergleich zu der Schande, die ich Deiner Meinung nach Deinem Namen
durch die Heirat machen würde.
Nun kannst Du ja hinsichtlich meiner Heiratsversuche manches mir antworten
und hast es auch getan: Du könntest nicht viel Respekt vor meiner
Entscheidung haben, wenn ich die Verlobung mit F. zweimal aufgelöst und
zweimal wieder auf genommen habe, wenn ich dich und die Mutter nutzlos zu
der Verlobung nach Berlin geschleppt habe und dergleichen. Das alles ist
wahr, aber wie kam es dazu?
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Briefe an den Vater
- Title
- Briefe an den Vater
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1919
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 40
- Categories
- Weiteres Belletristik