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Kampf. Den ritterlichen Kampf, wo sich die Kräfte selbständiger Gegner
messen, jeder bleibt für sich, verliert für sich, siegt für sich. Und den Kampf
des Ungeziefers, welches nicht nur sticht, sondern gleich auch zu seiner
Lebenserhaltung das Blut saugt. Das ist ja der eigentliche Berufssoldat und
das bist Du. Lebensuntüchtig bist Du; um es Dir aber darin bequem, sorgenlos
und ohne Selbstvorwürfe einrichten zu können, beweist Du, daß ich alle
Deine Lebenstüchtigkeit Dir genommen und in meine Taschen gesteckt habe.
Was kümmert es Dich jetzt, wenn Du lebensuntüchtig bist, ich habe ja die
Verantwortung. Du aber streckst Dich ruhig aus und läßt Dich, körperlich und
geistig, von mir durchs Leben schleifen. Ein Beispiel: Als Du letzthin heiraten
wolltest, wolltest Du, das gibst Du ja in diesem Brief zu, gleichzeitig nicht
heiraten, wolltest aber, um Dich nicht anstrengen zu müssen, daß ich Dir zum
Nichtheiraten verhelfe, indem ich wegen der ›Schande‹, die die Verbindung
meinem Namen machen würde, Dir diese Heirat verbiete. Das fiel mir nun
aber gar nicht ein. Erstens wollte ich Dir hier wie auch sonst nie ›in Deinem
Glück hinderlich sein‹, und zweitens will ich niemals einen derartigen
Vorwurf von meinem Kind zu hören bekommen. Hat mir aber die
Selbstüberwindung, mit der ich Dir die Heirat freistellte, etwas geholfen?
Nicht das Geringste. Meine Abneigung gegen die Heirat hätte sie nicht
verhindert, im Gegenteil, es wäre an sich noch ein Anreiz mehr für Dich
gewesen, das Mädchen zu heiraten, denn der ›Fluchtversuch‹, wie Du Dich
ausdrückst, wäre ja dadurch vollkommen geworden. Und meine Erlaubnis zur
Heirat hat Deine Vorwürfe nicht verhindert, denn Du beweist ja, daß ich auf
jeden Fall an Deinem Nichtheiraten schuld bin. Im Grunde aber hast Du hier
und in allem anderen für mich nichts anderes bewiesen, als daß alle meine
Vorwürfe berechtigt waren und daß unter ihnen noch ein besonders
berechtigter Vorwurf gefehlt hat, nämlich der Vorwurf der Unaufrichtigkeit,
der Liebedienerei, des Schmarotzertums. Wenn ich nicht sehr irre,
schmarotzest Du an mir auch noch mit diesem Brief als solchem.«
Darauf antworte ich, daß zunächst dieser ganze Einwurf, der sich zum Teil
auch gegen Dich kehren läßt, nicht von Dir stammt, sondern eben von mir. So
groß ist ja nicht einmal Dein Mißtrauen gegen andere, wie mein
Selbstmißtrauen, zu dem Du mich erzogen hast. Eine gewisse Berechtigung
des Einwurfes, der ja auch noch an sich zur Charakterisierung unseres
Verhältnisses Neues beiträgt, leugne ich nicht. So können natürlich die Dinge
in Wirklichkeit nicht aneinanderpassen, wie die Beweise in meinem Brief, das
Leben ist mehr als ein Geduldspiel; aber mit der Korrektur, die sich durch
diesen Einwurf ergibt, einer Korrektur, die ich im einzelnen weder ausführen
kann noch will, ist meiner Meinung nach doch etwas der Wahrheit so sehr
Angenähertes erreicht, daß es uns beide ein wenig beruhigen und Leben und
Sterben leichter machen kann.
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Briefe an den Vater
- Title
- Briefe an den Vater
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1919
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 40
- Categories
- Weiteres Belletristik