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Geißler102
Die Bedeutung der modernen Medien für die Professionalität von
Coachingausbildungen im Lichte der Professionalisierungstheorie
von Oevermann
Zu einer noch einmal ganz anderen Antwort auf die Frage nach der Bedeutung
der modernen Medien für die Professionalität von Coachingausbildungen kom-
men wir, wenn wir die Professionalisierungstheorie von Oevermann (1996)
zugrunde legen. Denn Professionalität wird hier nicht an die Qualitätsansprüche
von Professionen oder des Marktes gebunden, sondern begründet sich auf die
Professionalisierungsbedürftigkeit gesellschaftlicher Situationen, die durch Pro-
bleme dominiert werden, welche nicht mehr nur mithilfe traditioneller Rou-
tinen gelöst werden können, sondern die professionelle Hilfe von Expert*in-
nen, das heißt von Professionals, nötig machen, die ihre Fähigkeit zu helfen in
Auseinandersetzung mit der Wissenschaft erworben haben und ständig weiter-
entwickeln.
Diese Problemhaftigkeiten belegt Oevermann – vielleicht etwas zu drama-
tisierend – mit dem Begriff der Krise und meint damit den Normalfall, dass
»keine bewährten Lösungen und Handlungsmöglichkeiten vorliegen, auf die
das Subjekt zurückgreifen könnte« (Klenner, 2017, S. 62). Mit anderen Worten:
Für Oevermann ist eine Krise die »nach einer Schließung rufende Öffnung der
Zukunft« (Oevermann, 1996, S. 75).
Diese Definition korrespondiert mit der bildungstheoretischen Vorstellung,
die Prange (1978) in seiner pädagogischen Anthropologie im Anschluss an die
Existenzialphilosophie Heideggers vertritt. Denn für ihn ist der Mensch eine
offene Bestimmtheit (a. a. O.), das heißt ein Wesen, das sich durch die Offenheit
seines Zukunftshorizonts und die Notwendigkeit auszeichnet, diese Offenheit
immer wieder durch Antworten auf wichtige Lebensfragen zu schließen, ohne
damit allerdings jene Offenheit grundsätzlich infrage zu stellen oder aufzulösen.
Solche Zukunftsoffenheit ist für Oevermann die konstitutive Bedingung
menschlicher Autonomie und Subjekthaftigkeit. Diese Erkenntnis korrespondiert
mit den Vorstellungen der klassischen Bildungstheorie (z. B. Benner, 1987; Kol-
ler, 1999) und der auf Carl Rogers (1972) zurückgehenden klientenzentrierten
Psychotherapie und Pädagogik.
Soll Coaching den Ansprüchen einer professionalisierten Praxis genügen,
müssen, so Oevermann, Autonomie und Subjekthaftigkeit, das heißt »die Selbst-
Bestimmung des Subjekts in der Krise und durch ihre Bewältigung« (Klen-
ner, 2017, S. 68), oberste Kriterien sein. Das bedeutet: Coaching muss sich als
subsidiäre Praxis, als Hilfe zur Selbsthilfe begründen und dabei eine Strategie
zugrunde legen, die sozialtechnologische Standardisierung – und in diesem Rah-
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY-NC-ND 4.0
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book Coaching im digitalen Wandel"
Coaching im digitalen Wandel
- Title
- Coaching im digitalen Wandel
- Editor
- Robert Wegener
- Silvano Ackermann
- Jeremias Amstutz
- Silvia Deplazes
- Hansjörg Künzli
- Annamarie Ryter
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2020
- Language
- German, English
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-40742-0
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 166
- Category
- Technik