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von Beratung stellt. Technologisierungen, Standardisierungen, Automatisation
und Skalierungen lassen sich vor allem mit einem Verständnis verknüpfen,
das funktionalisierend und kybernetisch wirksam wird und zur Verdichtung
und Beschleunigung beiträgt. Ein solches Verständnis steht im Widerspruch
zu einem ethisch verantworteten Beratungsverständnis, das kritisch-reflexives
Verstehen des Einzelfalls und die Schaffung von Resonanzräumen zum Ziel
hat. Dies kann nur in einem Dialog gelingen, verbunden mit der beiderseitigen
Bereitschaft zur reflexiven Auseinandersetzung mit einem anderen Gegenüber.
Dieser Anspruch steht im Widerspruch zur gegenwärtigen Gesellschaft, denn
»in vielen […] Produkten der Gegenwartskultur dient die Auseinandersetzung
mit der Wirklichkeit über einen Repräsentationsbildschirm dazu, die Welt für
ein fragiles Selbst in die Entscheidungsarchitektur einzupassen, die der für die
psychologische Einstellung zuständige Funktionär gestaltet hat« (Crawford,
2016, S. 368). Eine derartige »Beratung« ist dann nicht kritischer Sand, sondern
funktionalisierendes Öl im Getriebe: Sie kann in Arbeitsabläufe und die Selbst-
steuerung eingetaktet werden und ist dann eine »Technologie der Macht« (Fou-
cault). Je weniger ein Mensch als beratende Person sichtbar und je mehr ein
Beratungsprozess als Werkzeug (»tool«) standardisiert, evidenzbasiert und damit
technologisiert wird, desto austauschbarer wird Beratung. Dass die beratende
Person mit ihrer Persönlichkeit und das Vertrauen in sie in der Beratung hin-
gegen zentral sind, hat Wandhoff (2016) in einem Gang durch Jahrhunderte
nachgezeichnet. Und dass eine gelingende Beziehung ein viel wesentlicherer
Faktor als die Beratungsmethode ist, hat erst kürzlich wieder Roth gezeigt (2018).
Kritisch ist also zu fragen, welche Zeiten und Räume Reflexion neben Künst-
ler*innen benötigt, die »nicht auf diese Weise und um diesen Preis regiert«
(Foucault, 1992, S. 12) werden. Deutlich wird dies, wenn ein Supervisand die
stundenlange Zuganreise als wertvolle, störungsfreie Vor- und Nachbereitungs-
zeit der Supervision beschreibt. Damit scheint Präsenzberatung nur im ersten
Augenblick ökonomisch ineffizient. Bei näherem Hinsehen drängt sich der Ver-
dacht auf, dass Präsenzberatung als gekaufte Zeit und damit Premiumangebot
(Bachmann & Fietze, 2018) für die »Wiedergewinnung des Wirklichen« (Craw-
ford, 2016) fungieren könnte: Beratung als legitimer Grund, sich aus dem hoch-
verdichteten Arbeitsalltag zu verabschieden und konzentriert, selbstreflexiv
und mit einem begreifbaren Gegenüber an einem Entwurf für ein gelingendes
Leben entlangzudenken (Wandhoff, 2016) und damit auch die Entfremdung in
der Spätmoderne (Rosa, 2013) ein wenig abzumildern.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY-NC-ND 4.0
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book Coaching im digitalen Wandel"
Coaching im digitalen Wandel
- Title
- Coaching im digitalen Wandel
- Editor
- Robert Wegener
- Silvano Ackermann
- Jeremias Amstutz
- Silvia Deplazes
- Hansjörg Künzli
- Annamarie Ryter
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2020
- Language
- German, English
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-40742-0
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 166
- Category
- Technik