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fentlichung dieser Stellungnahme setzte dieser Hinweis einen markanten
Kontrapunkt zu der nahezu ausschlieĂźlichen Fokussierung der medialen
Aufmerksamkeit auf das Regierungshandeln der staatlichen Stellen und
ihre zu Beginn der Krise reibungslose Koordination. Die hohen Zustim-
mungswerte zu den die Regierung tragenden Parteien und den wichtigs-
ten Einzelpersönlichkeiten (Bundeskanzlerin, Gesundheitsminister, einzel-
ne Ministerpräsidenten) signalisierten aber auch, dass ein Großteil der Be-
völkerung – und damit des demokratischen Souveräns und Trägers der
letzten politischen Verantwortung – mit den getroffenen Maßnahmen ein-
verstanden war.
Im Einzelnen berühren die rechtlichen und ethischen Erörterungen der
Stellungnahme drei Bereiche: erstens die ethische Legitimation der Gesamt-
strategie eines weitgehenden gesellschaftlichen Lockdowns, zweitens die
Notfallregeln einer aufgrund von Unterkapazitäten erforderlichen Priori-
sierung einzelner Patienten bei medizinischen Behandlungsentscheidun-
gen und drittens die erforderlichen Ă–ffnungsperspektiven, die eine Renor-
malisierung des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Le-
bens ermöglicht.
Die Rechtfertigung der anfänglichen Lockdown-Strategie
Was die Rechtfertigung der betroffenen Grundentscheidung, das gesamte
gesellschaftliche Leben weitgehend „herunterzufahren“, anbelangt, um ein
exponentielles Anwachsen der Anzahl infizierter Personen zu vermeiden,
betont der DER, dass diese Vorgehensweise in der dramatischen Anfangs-
phase der Pandemie rechtlich und ethisch vertretbar oder sogar geboten er-
schien. Dies gilt auch für die „rigorosen, massiv und flächendeckend frei-
heitsbeschränkenden“ (S.2) staatlichen Maßnahmen, die das soziale Leben
in den meisten gesellschaftlichen Bereichen, in Schulen, Kindergärten und
Kitas, in Wirtschaftsbetrieben und Produktionsstätten, in Restaurants,
Sportvereinen und Freizeitclubs abrupt zum Erliegen brachten. Gerecht-
fertigt waren diese Eingriffe in Grund- und Freiheitsrechte aus der Sicht
des Ethikrates durch eine Abwägung konkurrierender moralischer Güter,
die auch die Grundprinzipien der Solidarität und Verantwortung aller Be-
völkerungsgruppen, nicht nur der unmittelbaren Risikoträger, einbezieht.
Ausdrücklich betont die Stellungnahme, dass eine Strategie des „Laufenlas-
sens“, die allein auf die rasche Verbreitung des Virus und eine ausreichen-
de „Durchseuchung“ der Bevölkerung („Herdenimmunität“) setzt, ange-
sichts der unvermeidlichen Mortalitätsrate unverantwortlich gewesen wä-
re. Insofern billigt der Ethikrat die politische Vorzugsentscheidung der
1.
Eberhard Schockenhoff
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https://doi.org/10.5771/9783748910589, am 02.10.2020, 10:33:08
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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Die Corona-Pandemie
Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Title
- Die Corona-Pandemie
- Subtitle
- Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Authors
- Wolfgang Kröll
- Johann Platzer
- Hans-Walter Ruckenbauer
- Editor
- Walter Schaupp
- Publisher
- Nomos Verlagsgesellschaft
- Location
- Baden-Baden
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-1058-9
- Size
- 15.3 x 22.7 cm
- Pages
- 448
- Keywords
- Philosophie, Theologie, Gesellschaft, Gesundheitssystem, Biopolitik, MenschenwĂĽrde, Bioethik, Intensivmedizin, Gesundheitsethik, Covid-19, Triage, Ethik, Strafrecht und Grundrechte, Krankenhausseelsorge, Spiritual Care, Pflegeheim, Social Distancing
- Categories
- Coronavirus
- Medizin
- Recht und Politik