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oder die Ausübung wirtschaftlicher Tätigkeiten (wieder) ermöglichen wür-
de, zu diskutieren.
Verhältnismäßigkeit und Freiwilligkeit im Zentrum
Im Zentrum der Überlegungen steht für die Kommission der Grundsatz
der Verhältnismäßigkeit. Verhältnismäßigkeit, so hält die NEK-CNE fest,
verlange, dass „mit der Massnahme tatsächlich der Schutz hochrangiger
Güter verfolgt wird, und die Massnahme dafür geeignet, erforderlich und
zumutbar ist. Je stärker sie direkt darauf abzielt eine erwiesene, ernsthafte
und unmittelbare Gefahr abzuwenden, desto eher ist sie gerechtfertigt.“8
Freilich könne eine Maßnahme auch dann unverhältnismäßig sein, wenn
sie so wenig einschränkend wie möglich ausgestaltet ist. Dies sei der Fall,
wenn die Eingriffe im Verhältnis zur beabsichtigten Wirkung zu groß
sind. Die Verhältnismäßigkeit, so schließt die Kommission, „muss daher
stets im konkreten Kontext, in dem die Massnahme eingesetzt wird, beur-
teilt werden.“ Weil Verhältnismäßigkeit die Nutzung jener Maßnahmen,
die mit dem geringsten Eingriff in individuelle Güter und Rechte einher-
gehen, verlange, dürfe eine entsprechende Maßnahme zudem zeitlich
nicht unbegrenzt zum Einsatz kommen. Vielmehr „sollte eine Massnahme
wie das digitale Contact Tracing im Sinne der Verhältnismässigkeit ledig-
lich für den kürzest möglichen Zeitraum ergriffen werden, der zur Errei-
chung des Ziels erforderlich ist. Dies bedeutet, dass die Dauer, für die eine
Massnahme verfügt wird, im Voraus festgelegt und in regelmässigen Ab-
ständen überprüft werden muss.“
Ausgehend vom zentralen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hält die
Kommission in ihrer Stellungnahme Bedingungen für ein ethisch gerecht-
fertigtes digitales Contact Tracing fest. Angesichts der Tatsache, dass das
digitale Contact Tracing wichtige Rechtsgüter und Interessen des Individu-
ums tangiert, insistiert sie besonders auf die Forderung, dass die Nutzung
einer Tracing-App freiwillig sein müsse9 – ein inzwischen vom Parlament
gesetzlich festgeschriebener Grundsatz, der teils auch heftigen Wider-
3.2.3
8 Die Zitate in diesem Abschnitt sind, sofern nicht anders gekennzeichnet, der Stel-
lungnahme der NEK-CNE vom 6. April 2020 entnommen (vgl. FN 7).
9 Vgl. zur Frage der Freiwilligkeit auch den Gastkommentar „Digitales Contact Tra-
cing und das Problem der Freiwilligkeit“ von Kommissionspräsidentin Andrea
Büchler und Jean-Daniel Strub in der Neuen Zürcher Zeitung vom 5. Mai 2020,
in: https://www.nzz.ch/meinung/digitales-contact-tracing-und-das-problem-der-frei
willigkeit-ld.1554445.
Nadine Brühwiler, Simone Romagnoli, Jean-Daniel Strub
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https://doi.org/10.5771/9783748910589, am 02.10.2020, 10:33:08
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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Die Corona-Pandemie
Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Title
- Die Corona-Pandemie
- Subtitle
- Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Authors
- Wolfgang Kröll
- Johann Platzer
- Hans-Walter Ruckenbauer
- Editor
- Walter Schaupp
- Publisher
- Nomos Verlagsgesellschaft
- Location
- Baden-Baden
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-1058-9
- Size
- 15.3 x 22.7 cm
- Pages
- 448
- Keywords
- Philosophie, Theologie, Gesellschaft, Gesundheitssystem, Biopolitik, Menschenwürde, Bioethik, Intensivmedizin, Gesundheitsethik, Covid-19, Triage, Ethik, Strafrecht und Grundrechte, Krankenhausseelsorge, Spiritual Care, Pflegeheim, Social Distancing
- Categories
- Coronavirus
- Medizin
- Recht und Politik