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und den Intensivstationen unter dem Blickwinkel der knappen medizini-
schen und strukturellen Ressourcen im Rahmen dieser COVID-19-
Pandemie zu geben.2
Gerade in den norditalienischen Krankenhäusern bestand die Befürch-
tung, dass nicht nur eine Rationalisierung der knappen Ressourcen not-
wendig werden könnte, sondern eine medizinische Rationierung der vor-
handenen Mittel eintreten könnte mit der Gefahr, dass nicht mehr alle Pa-
tienten die medizinischen Leistungen erhalten würden, die ihnen entspre-
chend der italienischen Verfassung diritto alla tutela della salute zustehen
müsste und worauf sie nach dem principio di uguaglianza e dovere di solida-
rietà ein Anrecht hätten. In einer solchen zeitlich begrenzten Ausnahmesi-
tuation, die den Zeitraum zwischen Februar und April 2020 umfasste, war
es unabdingbar, dass alle Entscheidungen der involvierten Personen nach
transparenten Regeln getroffen wurden und auf der Basis medizinethi-
scher und moralischer Aspekte erfolgten. Basis der Entscheidungen bilden
die vier weitgehend anerkannten medizin-ethischen Prinzipien (Gutes tun,
Nichtschaden, Respekt vor der Autonomie und Gerechtigkeit), die gerade
bei Ressourcenknappheit eine besondere Bedeutung haben.3 Die Abklä-
rung des Patientenwillens, insbesondere bei jenen Personen, die einer Risi-
kogruppe angehören, muss frühzeitig erfolgen. Knappe Ressourcen sollen
nicht eingesetzt werden, wenn dies nicht dem Patientenwillen entspricht
und ein Widerspruch zu einer vorliegenden Patientenverfügung besteht.
Norditalien wurde mit der größten COVID-19-Epidemie außerhalb Asi-
ens, die mit der ersten nachgewiesenen Infektionskette in Lodi am 21. Fe-
bruar 2020 begann, überrollt.4 Es herrschte, bedingt durch Berichte aus
China, die Befürchtung, dass durch die sich anbahnende Epidemie relativ
rasch eine Verknappung an Intensivbetten eintreten könnte. In Anbetracht
der raschen Ausbreitung der Erkrankung war es notwendig, dass die Kran-
kenhäuser und alle Organisationen im Gesundheitssystem der Region ge-
meinsam mit den politischen Entscheidungsträgern vorausschauend eine
Strategie entwickelten, die eine Überforderung der Gesundheitsstrukturen
verhinderte.
Aus diesem Grund wurde als Reaktion auf den COVID-19-Ausbruch in
der Region Lombardei und nachfolgend in allen anderen Regionen und
Provinzen des Landes Ende Februar und Anfang März 2020 eine regionale
Task Force für alle Intensivbetten und COVID-Stationen eingerichtet, die
2 Vgl. SIARRTI: Raccomandazioni di etica.
3 Vgl. Carinci, Covid-19.
4 Vgl. Xie et al., Critical care crisis and some recommendations.
Franz Ploner
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https://doi.org/10.5771/9783748910589, am 02.10.2020, 10:33:08
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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Die Corona-Pandemie
Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Title
- Die Corona-Pandemie
- Subtitle
- Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Authors
- Wolfgang Kröll
- Johann Platzer
- Hans-Walter Ruckenbauer
- Editor
- Walter Schaupp
- Publisher
- Nomos Verlagsgesellschaft
- Location
- Baden-Baden
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-1058-9
- Size
- 15.3 x 22.7 cm
- Pages
- 448
- Keywords
- Philosophie, Theologie, Gesellschaft, Gesundheitssystem, Biopolitik, Menschenwürde, Bioethik, Intensivmedizin, Gesundheitsethik, Covid-19, Triage, Ethik, Strafrecht und Grundrechte, Krankenhausseelsorge, Spiritual Care, Pflegeheim, Social Distancing
- Categories
- Coronavirus
- Medizin
- Recht und Politik