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sundheitssystemen. Eine VerÀnderung hierin wird seit mehr als zehn
Jahren gefordert und versprochen â und nicht eingelöst.2
âą Aus diesem Misstrauensvorschuss gegenĂŒber der Gesundheitspolitik
heraus ist zu ĂŒberprĂŒfen, ob die vorgegebenen Werte âSchutz und Ge-
sundheit der Risikogruppenâ und âSchutz und Sicherheit des Gesund-
heitssystemsâ wirklich handlungsleitend sind und waren â und welche
Wirkung und Erfolg sie erreicht haben.
âą Die Corona-Krise ist der Auslöser, nicht die Ursache fĂŒr die Erfahrun-
gen in der Pflege und in den Altenpflegeeinrichtungen des FrĂŒhjahrs
2020 â und verdeutlicht einen dringenden VerĂ€nderungsbedarf in den
Einrichtungen und im Gesundheitssystem. Gleichzeitig wurde sichtbar,
wie schnell kulturelle Errungenschaften in den Gesundheitseinrichtun-
gen (z.âŻ
B. geteilte Entscheidungsfindung, Ethikberatung, Vorsorgedia-
log, Palliative Kultur, Sterbebegleitung etc.) in der Krise zur Dispositi-
on stehen bzw. nicht durchgehalten werden können.
âą Aus der positiven KrisenbewĂ€ltigung (z.âŻ
B. mobile Testungen zuhause,
Vermeiden von unnötigen Krankenhauseinweisungen, vorausschauen-
de Therapiezielplanungen mit den Patient*innen) lassen sich Konzepte
und Bausteine fĂŒr eine bessere Versorgung alter und hochaltriger Men-
schen zuhause und in den Pflegeeinrichtungen ableiten: Neben der
Notarztversorgung brÀuchte es mobile geriatrisch-palliative Dienste
(Medizin/Pflege), die ad hoc vor Ort alte Menschen so versorgen kön-
nen, dass sie zuhause oder im Heim bleiben können.
âą Die Gesundheitsberufe, insbesondere die Pflegenden, haben motiviert
einen hervorragenden Job in der Krise gemacht â und haben es nicht
verdient, dass ihnen die moralische Verantwortung fĂŒr die ökonomi-
schen Knappheiten und andere Rahmenbedingungen, Konflikte und
Fehler angelastet werden, fĂŒr die im weitesten Sinne die Gesundheits-
politik verantwortlich ist. Doch die Mitarbeiter*innen im Gesundheits-
wesen nehmen es persönlich und reagieren mit moralischem Stress.3
Das gilt fĂŒr die Pflegenden ebenso wie fĂŒr die Mediziner*innen und al-
le anderen Gesundheitsberufe. Gerade der Umgang mit alten Men-
schen in der Pandemiekrise wirft Fragen und Wertkonflikte auf, die
vordringlich im Gesundheitssystem, in den Organisationen und in der
Gesellschaft zu bearbeiten sind. Das Modell der individuellen Verant-
2 Zuletzt suchte in Ăsterreich die parlamentarische Enquete âWĂŒrde am Ende des
Lebensâ 2014/15 entsprechende AnsĂ€tze: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG
/XXV/I/I_00491/fname_386917.pdf [21.06.2020].
3 Vgl. Dinges, Ethikberatung als PrĂ€vention; Dinges, Eine Sorge fĂŒr das Ganze.
Stefan Dinges
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https://doi.org/10.5771/9783748910589, am 02.10.2020, 10:33:08
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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Die Corona-Pandemie
Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Title
- Die Corona-Pandemie
- Subtitle
- Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Authors
- Wolfgang Kröll
- Johann Platzer
- Hans-Walter Ruckenbauer
- Editor
- Walter Schaupp
- Publisher
- Nomos Verlagsgesellschaft
- Location
- Baden-Baden
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-1058-9
- Size
- 15.3 x 22.7 cm
- Pages
- 448
- Keywords
- Philosophie, Theologie, Gesellschaft, Gesundheitssystem, Biopolitik, MenschenwĂŒrde, Bioethik, Intensivmedizin, Gesundheitsethik, Covid-19, Triage, Ethik, Strafrecht und Grundrechte, Krankenhausseelsorge, Spiritual Care, Pflegeheim, Social Distancing
- Categories
- Coronavirus
- Medizin
- Recht und Politik