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auszuhalten – sie fühlen sich für die Verschlechterungen des Allgemeinzu-
standes verantwortlich, sie fühlen sich (mit)schuldig.
Reflexionsorte in der Covid-19-Krise
Wo ergaben sich für Medizin- und Organisationsethik Möglichkeiten des
Anknüpfens und der Bearbeitung in der Krise? Ein Leitsatz der Krisenkom-
munikation behauptet ja, in der Krise trägt nur das, was zuvor etabliert
und geübt wurde. Hier einige kurze persönliche Einblicke aus der klini-
schen Praxis:
In einem Krankenhaus eines konfessionellen Trägers wurden die vor-
handenen lokalen Ethikstrukturen, ein Klinisches Ethikkomitee (KEK)
und lokale Ethikberatung weitgehend ausgesetzt. Die Krisenentscheidun-
gen wurden von der Führung des Hauses bzw. von der Holding getroffen.
Prioritär waren die fachlichen Kompetenzen aus Medizin und Pflege ge-
fragt, mit den Infektionen umzugehen bzw. die anderen Gesundheitsberu-
fe dort einzubinden, wo es Behandlung und Versorgung im Alltag not-
wendig machten: bei Palliativpatient*innen und auf der Geburtsstation.
Wichtig war auch, in die Wien-weite Koordination der Intensivressourcen
eingebunden zu werden. Die Treffen des KEKs dagegen wurden für ein
Vierteljahr ausgesetzt. Eine Vermutung: Die ethischen Herausforderungen
und Fragen wurden so gut wie möglich von den Mitarbeiter*innen über-
nommen und in den erlernten Routinen persönlich bearbeitet; Unterstüt-
zung von außen oder durch Ethikkonsile wurde nicht angefragt.
Ganz anders bei einem großen kommunalen Träger, der seit einem hal-
ben Jahr in einem Pilotprojekt mit der formalen Etablierung von Klini-
scher Ethikberatung in einem Krankenhaus begonnen hatte: Hier wurde
ein akuter, direkter ethischer Reflexionsprozess in der Weichenstellung für
die Krisenbearbeitung angefragt, sowohl auf Ebene lokaler Krisenstäbe im
Umgang mit Triage- und Versorgungsentscheidungen wie auch auf Träge-
rebene in der Beratung effizienter Entscheidungsstrukturen zur Krisenbe-
wältigung. Auf beiden Ebenen wurde ein Bedarf an ethischer Unterstüt-
zung ausgemacht: Auf Einrichtungsebene wurde in der klinischen Ethik-
beratung ein Instrument gesehen, konflikthafte Versorgungsentscheidun-
gen zu begleiten; auf Träger- und Einrichtungsebene wurden interprofes-
sionelle Ethikboards (teilweise aus vorhandenen informellen Ethikzirkeln
und Gruppen gebildet) nachgefragt und ad hoc einberufen, mitunter mit
noch zu klärenden Aufgaben und Befugnissen.
Inwieweit Strukturen und Ressourcen von Ethikberatung in den Ein-
richtungen und Diensten der Altenpflege zum Einsatz kamen – so sie
2.
Stefan Dinges
74
https://doi.org/10.5771/9783748910589, am 02.10.2020, 10:33:08
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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Die Corona-Pandemie
Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Title
- Die Corona-Pandemie
- Subtitle
- Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Authors
- Wolfgang Kröll
- Johann Platzer
- Hans-Walter Ruckenbauer
- Editor
- Walter Schaupp
- Publisher
- Nomos Verlagsgesellschaft
- Location
- Baden-Baden
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-1058-9
- Size
- 15.3 x 22.7 cm
- Pages
- 448
- Keywords
- Philosophie, Theologie, Gesellschaft, Gesundheitssystem, Biopolitik, Menschenwürde, Bioethik, Intensivmedizin, Gesundheitsethik, Covid-19, Triage, Ethik, Strafrecht und Grundrechte, Krankenhausseelsorge, Spiritual Care, Pflegeheim, Social Distancing
- Categories
- Coronavirus
- Medizin
- Recht und Politik