Page - 80 - in Die Corona-Pandemie - Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
Image of the Page - 80 -
Text of the Page - 80 -
waren. Das stand und steht in Spannung zu jenen Bewohner*innen (und
Angehörigen), die geschützt werden wollten – auch das eine Zerreißprobe
für Mitarbeiter*innen und Einrichtungen. Trotzdem müssen viele der jetzt
sichtbar werdenden Situationen mindestens als freiheitseinschränkende,
wenn nicht freiheitsentziehende Maßnahmen bewertet werden und hätten
dementsprechend nach den jeweils geltenden Gesetzeslagen gemeldet und
überprüft werden müssen.
Im Vergleich zu den aufwändigen Kontrollen und Testungen in den
Krankenhäusern wurde im niedergelassenen Bereich und in den Pflegehei-
men zu wenig und zu zögerlich getestet; dies gilt für Bewohner*innen
ebenso wie für die Mitarbeiter*innen. Die an sich gute Idee, z. B. in Wien
über den Ärztefunkdienst die mobilen Tests zu organisieren und Infekti-
onsketten zu verhindern, geriet bald in Überlastungen. Zwar wurde damit
ein Ansturm auf die Spitäler verhindert; allerdings warteten viele tagelang
auf den Test und dann wiederum auf das Ergebnis. In den Pflegeheimen
wurde oft nur im Verdachtsfall oder nach einem Infektionsausbruch getes-
tet.
Da es ja trotz Besuchs- und Ausgangsverboten immer wieder zu Infekti-
onsherden in Pflegeheimen kam, waren es wohl die Mitarbeiter*innen, die
das Virus in die Einrichtungen trugen. Mitarbeiter*innen verschwiegen
ihre Symptome, hielten sie vielleicht nur für eine Grippe – und kamen zur
Arbeit, nicht zuletzt auch, weil sie auf das Einkommen angewiesen waren
oder um die Versorgungskontinuität bei Personalknappheit aufrechtzuer-
halten. Hier hätte wohl ebenso konsequent getestet werden müssen, denn
Mitarbeiter*innen-Sicherheit ist immer auch Patient*innen-/Bewoh-
ner*innen-Sicherheit.
Der Ressourcenmangel führte in manchen Pflegeeinrichtungen dazu,
dass das Personal wegen des fehlenden Schutzmaterials mit Plastiksäcken
und Skibrillen versucht hat, die Bewohner*innen und sich selbst vor einer
Infektion zu schützen. Es stellt sich die Frage, ob nicht auch Mitarbei-
ter*innen das Recht haben, die Pflegearbeit ohne Schutz zu verweigern –
auch mit der Perspektive, dass eine Infektion von Pflegepersonen in Zeiten
des Personalmangels eben auch die zukünftige Pflege und Versorgung in
den Einrichtungen gefährdet.
In den Pflegeheimen
Die vorangegangenen Reflexionen machen deutlich, dass die zwiespältigen
Erfahrungen und Konflikte in den Einrichtungen selbst durch Widersprü-
che und Wertkonflikte sowie Ungereimtheiten auf den übergeordneten
4.3
Stefan Dinges
80
https://doi.org/10.5771/9783748910589, am 02.10.2020, 10:33:08
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
back to the
book Die Corona-Pandemie - Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise"
Die Corona-Pandemie
Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Title
- Die Corona-Pandemie
- Subtitle
- Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Authors
- Wolfgang Kröll
- Johann Platzer
- Hans-Walter Ruckenbauer
- Editor
- Walter Schaupp
- Publisher
- Nomos Verlagsgesellschaft
- Location
- Baden-Baden
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-1058-9
- Size
- 15.3 x 22.7 cm
- Pages
- 448
- Keywords
- Philosophie, Theologie, Gesellschaft, Gesundheitssystem, Biopolitik, Menschenwürde, Bioethik, Intensivmedizin, Gesundheitsethik, Covid-19, Triage, Ethik, Strafrecht und Grundrechte, Krankenhausseelsorge, Spiritual Care, Pflegeheim, Social Distancing
- Categories
- Coronavirus
- Medizin
- Recht und Politik