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enten nicht möglich. Die seit 2012 geltenden ministeriellen Leitlinien zur
Triage im Krankenhaus (Ministero della Salute 2012) mussten den verän-
derten Bedingungen der SARS-CoV-2-Infektionswelle angepasst werden.
Die SIAARTI-Empfehlungen wollten dazu eine Hilfestellung bieten. Um
die äußerst angespannte Situation in den Krankenhäusern zu entlasten,
empfahlen das italienische Gesundheitsministerium und der nationale Ge-
sundheitsdienst allen BĂĽrgerinnen und BĂĽrgern dringend, den Zugang zu
Gesundheitseinrichtungen (z. 
B. Notaufnahmen, ambulante und elektive
Eingriffe) in nicht dringlichen Fällen einzuschränken. Die Task Force für
Infektionskrankheiten empfahl zudem, infizierten Patienten häusliche Iso-
lation aufzuerlegen und sie zu Hause zu behandeln sowie den Verlauf der
Erkrankung mittels Selbstbeobachtung der Symptome zu ĂĽberwachen (Se-
meraro 2020). Dadurch sollten einerseits eine Infizierung der betreuenden
Hausärzte verhindert und andererseits Infizierte erst bei Verschlechterung
ihrer Situation stationär aufgenommen werden.
Die schwierige und heikle Entscheidung, wer vorrangig intensivmedizi-
nisch versorgt und wer nachrangig oder nur palliativ behandelt werden
soll, mussten jedoch die Ärzte vor Ort treffen. Schlagzeilen im Sinne von
„Ärzte entscheiden über Leben und Tod“ oder Berichte aus den Kranken-
häusern, wonach „ältere Menschen Angst vor einer Verschlechterung ihrer
Situation hätten, weil sie wüssten, im Notfall nicht intubiert zu werden“19,
verunsicherten viele Menschen und weckten insbesondere die BefĂĽrch-
tung, dass ältere Menschen medizinisch benachteilig würden.
Ärzte und Krankenhäuser haben bestätigt, dass Triage in der Tat als not-
wendige MaĂźnahme durchgefĂĽhrt werden musste, jedoch wiederholt be-
tont, dass das Alter allein kein Kriterium fĂĽr die Nichtbehandlung eines
Patienten oder einer Patientin darstellte. Beispielhaft seien zwei Stimmen
genannt: Christian Salaroli, Anästhesist im Krankenhaus „Papst Johannes
XXIII.“ in Bergamo, nannte drei ausschlaggebende Kriterien, nach denen
auf seiner Station die Entscheidung ĂĽber den Beginn einer intensivmedizi-
nischen Betreuung getroffen wurden: Alter, klinisches Gesamtbild und die
Abschätzung, ob ein Patient sich wieder von einer intensivmedizinischen
Behandlung erholen werde (Imarisio 2020). Auch Marco Resta, stellvertre-
tender Leiter der Poliklinik „San Donato“ in Mailand, nannte das Alter
und die medizinische Gesamtverfassung eines Patienten als die zwei
grundlegenden Entscheidungskriterien, als drittes hingegen die familiäre
Situation: „Wir müssen wissen, ob ältere Patienten Familienangehörige ha-
19 So sinngemäß eine Krankenschwester im Bozner Krankenhaus in „Südtirol Heu-
te“ (ORF) vom 31.03.2020 (aus dem Gedächtnis zitiert).
Martin M. Lintner
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https://doi.org/10.5771/9783748910589, am 02.10.2020, 10:33:08
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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Die Corona-Pandemie
Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Title
- Die Corona-Pandemie
- Subtitle
- Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Authors
- Wolfgang Kröll
- Johann Platzer
- Hans-Walter Ruckenbauer
- Editor
- Walter Schaupp
- Publisher
- Nomos Verlagsgesellschaft
- Location
- Baden-Baden
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-1058-9
- Size
- 15.3 x 22.7 cm
- Pages
- 448
- Keywords
- Philosophie, Theologie, Gesellschaft, Gesundheitssystem, Biopolitik, MenschenwĂĽrde, Bioethik, Intensivmedizin, Gesundheitsethik, Covid-19, Triage, Ethik, Strafrecht und Grundrechte, Krankenhausseelsorge, Spiritual Care, Pflegeheim, Social Distancing
- Categories
- Coronavirus
- Medizin
- Recht und Politik