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gegangen. Während die einen zur Bedachtsamkeit mahnten (z. B. Deutsch-
land), schalteten andere die Parlamente nahezu völlig aus (z. B. Ungarn).
Österreich hat einen Mittelweg gewählt, indem viel darangesetzt wurde,
die Krise möglichst dramatisch aussehen zu lassen, damit das Parlament
der – zumindest schleichenden – Machtverschiebung an die Regierung
möglichst einhellig zustimmt und das Volk dies nicht allzu kritisch hinter-
fragt.
Das materielle Strafrecht blieb im Rahmen der COVID-19-Krise von Neu-
erungen verschont. Dies liegt zum einen daran, dass bereits ausreichende
Strafnormen vorhanden waren, um die individuelle Gesundheit und die so
genannte „Volksgesundheit“ vor Gefährdung zu schützen. Zum andern ist
eine rasche Reaktion auf Normverstöße im Bereich des Strafrechts dadurch
erschwert, dass es eine gewisse Zeit dauert, bis ein Urteil erfolgen kann
und überdies Verurteilungen von einem unabhängigen Gericht erfolgen
müssen. Da ist es verlockender, im Rahmen des Verwaltungsstrafrechts
Verbote einzuführen, weil hier einerseits rasch über Normverstöße durch
(erstinstanzliche) weisungsgebundene Behörden entschieden werden kann
und erst im Falle eines Rechtsmittels ein unabhängiges (Verwaltungs-)Ge-
richt sich der Sache annimmt. Andererseits ist die Sanktion im Verwal-
tungsstrafrecht letztlich fühlbarer als im (niederschwelligen) Kriminalstraf-
recht, gibt es doch im Verwaltungsbereich keine bedingten Strafen und
sind die Geldstrafen infolge deren Ausgestaltung als Geldsummenstrafe
weniger sozial gerecht als die von den Strafgerichten nach dem Tagessatz-
system2 zu verhängenden Geldstrafen. Verwaltungsstrafen treffen daher so-
zial Schwache tendenziell härter als finanziell besser gestellte Personen.
Die Reduktion der Verbotsnormen im Rahmen der COVID-19-Krise auf
das Verwaltungsstrafrecht war damit unter dem Gesichtspunkt der sozia-
len Gerechtigkeit nicht unproblematisch.3
Der Schutz von Menschen vor Ansteckung mit dem COVID-19-Virus
führte zu zahlreichen Änderungen im Strafverfahrensrecht sowie im Bereich
des Strafvollzugs, vorwiegend um Kontakte zwischen den Gerichten und
den Verfahrensbeteiligten bzw. den Strafgefangenen und dem Justizwache-
personal einzudämmen. „Social Distancing“ war auch hier das Schlagwort
2 Während bei der Geldsummenstrafe Unrecht und Schuld ebenso in der ausgespro-
chenen Summe der Geldstrafe ihren Ausdruck finden wie die finanzielle Leis-
tungsfähigkeit des Normabweichlers, wird im Tagessatzsystem differenziert: Die An-
zahl der verhängten Tagessätze drückt Unrecht und Schuld aus, die konkrete Höhe
des Tagessatzes die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Rechtsbrechers.
3 Die Geldstrafen für Verstöße gegen die Ausgangsbeschränkungen beliefen sich
z. B. auf bis zu 3.600 Euro (vgl. §3 COVID-19-Maßnahmengesetz, BGBl.I 12/2020).
Alois Birklbauer
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https://doi.org/10.5771/9783748910589, am 02.10.2020, 10:33:08
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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Die Corona-Pandemie
Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Title
- Die Corona-Pandemie
- Subtitle
- Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Authors
- Wolfgang Kröll
- Johann Platzer
- Hans-Walter Ruckenbauer
- Editor
- Walter Schaupp
- Publisher
- Nomos Verlagsgesellschaft
- Location
- Baden-Baden
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-1058-9
- Size
- 15.3 x 22.7 cm
- Pages
- 448
- Keywords
- Philosophie, Theologie, Gesellschaft, Gesundheitssystem, Biopolitik, Menschenwürde, Bioethik, Intensivmedizin, Gesundheitsethik, Covid-19, Triage, Ethik, Strafrecht und Grundrechte, Krankenhausseelsorge, Spiritual Care, Pflegeheim, Social Distancing
- Categories
- Coronavirus
- Medizin
- Recht und Politik