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auch Maßnahmen ausländerrechtlicher oder polizeirechtlicher Natur
rechtfertigen können, wobei auch solche mit einreisehemmender bzw. auf-
enthaltsbeendender Wirkung als gangbar gewertet werden.19
Grundsätzlich müssen die unionsrechtlichen Freizügigkeitsrechte sowie
die den Diskriminierungsschutz beschränkenden Maßnahmen der Mit-
gliedstaaten aber jedenfalls dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen,
um ausreichend gerechtfertigt zu sein.20,21 Allgemein meint der Verhältnis-
mäßigkeitsgrundsatz, dass die getroffenen Maßnahmen erforderlich und
geeignet zur Zielerreichung sein müssen und die Ziel-Mittel-Relation ge-
wahrt ist, was heißt, dass die für die Betroffenen jeweils am relativ wenigs-
ten belastende Maßnahme zu wählen ist, die noch ausreichend zur Zieler-
reichung taugt.22 Diskriminierungen können dann gerechtfertigt sein,
wenn sie auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit unabhängigen Erwä-
gungen basieren und verhältnismäßig sind. Es kommen somit alle Maß-
nahmen in Betracht, die geeignet sind, die Gefährdung des verfolgten
schutzwürdigen öffentlichen Interesses – wie etwa die Aufrechterhaltung
von Gesundheit und Gesundheitssystem – abzuwenden, und die eine bloß
mittelbare Diskriminierung23 darstellen.24 Die gewählten Maßnahmen in
Form von Normen und Verwaltungsakten dürfen daher nicht überschie-
ßend sein, womit wesentlich auch das Sachlichkeitsgebot des Verord-
nungsgebers und das Willkürverbot bei der Setzung von Verwaltungsakten
angesprochen sind. Dieser allgemeine rechtsstaatliche Grundsatz erstreckt
sich dabei grundsätzlich auf die Wahl sowohl des Rechtsaktstyps als auch
des Regelungsinhalts.25
19 Vgl. Vedder/Heintschel von Heinegg, Europäisches Unionsrecht Anm 2 zu Art 52
AEUV.
20 Vgl. etwa EuGH RsC-109/98, Lethonen, Slg2000, I-2681.
21 Zur Verhältnismäßigkeit im Rahmen des Gesundheitsschutzes vgl. EuGH
RsC-169/07, Hartlauer Handelsgesellschaft mbH, Slg2009, I-1721.
22 Zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und seinen Anknüpfungen vgl. EuGH 20. 6.
2013, RsC-20/12, Giersch et al./Grußherzogtum Luxemburg; vgl. eingehend Winkler,
Grundrechte der EU 266–283 sowie sinngemäß Borchardt, Europäische Union Rz
214.
23 Zur mittelbaren oder versteckten Diskriminierung vgl. Borchardt, Europäische
Union Rz 1050–1051.
24 Vgl. Ruhs, Beschränkungen, in: Busch/Unger, Hochschulraum 135.
25 Vgl. dazu sinngemäß Vedder/Heintschel von Heinegg, Europäisches Unionsrecht
Anm 34 zu Art 5 EUV (Vertrag über die Europäische Union, ABl1992 C 191, 1).
Unions-, verfassungs- und universitätsrechtliche Aspekte zu „Corona-Maßnahmen“
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https://doi.org/10.5771/9783748910589, am 02.10.2020, 10:33:08
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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Die Corona-Pandemie
Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Title
- Die Corona-Pandemie
- Subtitle
- Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise
- Authors
- Wolfgang Kröll
- Johann Platzer
- Hans-Walter Ruckenbauer
- Editor
- Walter Schaupp
- Publisher
- Nomos Verlagsgesellschaft
- Location
- Baden-Baden
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-1058-9
- Size
- 15.3 x 22.7 cm
- Pages
- 448
- Keywords
- Philosophie, Theologie, Gesellschaft, Gesundheitssystem, Biopolitik, Menschenwürde, Bioethik, Intensivmedizin, Gesundheitsethik, Covid-19, Triage, Ethik, Strafrecht und Grundrechte, Krankenhausseelsorge, Spiritual Care, Pflegeheim, Social Distancing
- Categories
- Coronavirus
- Medizin
- Recht und Politik