Page - 5 - in Das Schloss
Image of the Page - 5 -
Text of the Page - 5 -
1Kapitel
Es war spät abends, als K. ankam. Das Dorf lag in tiefem Schnee. Vom
Schloßberg war nichts zu sehen, Nebel und Finsternis umgaben ihn, auch
nicht der schwächste Lichtschein deutete das große Schloß an. Lange stand K.
auf der Holzbrücke, die von der Landstraße zum Dorf führte, und blickte in
die scheinbare Leere empor.
Dann ging er, ein Nachtlager suchen; im Wirtshaus war man noch wach,
der Wirt hatte zwar kein Zimmer zu vermieten, aber er wollte, von dem
späten Gast äußerst überrascht und verwirrt, K. in der Wirtsstube auf einem
Strohsack schlafen lassen. K. war damit einverstanden. Einige Bauern waren
noch beim Bier, aber er wollte sich mit niemandem unterhalten, holte selbst
den Strohsack vom Dachboden und legte sich in der Nähe des Ofens hin.
Warm war es, die Bauern waren still, ein wenig prüfte er sie noch mit den
müden Augen, dann schlief er ein.
Aber kurze Zeit darauf wurde er schon geweckt. Ein junger Mann, städtisch
angezogen, mit schauspielerhaftem Gesicht, die Augen schmal, die
Augenbrauen stark, stand mit dem Wirt neben ihm. Die Bauern waren auch
noch da, einige hatten ihre Sessel herumgedreht, um besser zu sehen und zu
hören. Der junge Mensch entschuldigte sich sehr höflich, K. geweckt zu
haben, stellte sich als Sohn des Schloßkastellans vor und sagte dann: »Dieses
Dorf ist Besitz des Schlosses, wer hier wohnt oder übernachtet, wohnt oder
übernachtet gewissermaßen im Schloß. Niemand darf das ohne gräfliche
Erlaubnis. Sie aber haben eine solche Erlaubnis nicht oder haben sie
wenigstens nicht vorgezeigt.«
K. hatte sich halb aufgerichtet, hatte die Haare zurechtgestrichen, blickte
die Leute von unten her an und sagte: »In welches Dorf habe ich mich verirrt?
Ist denn hier ein Schloß?«
»Allerdings«, sagte der junge Mann langsam, während hier und dort einer
den Kopf über K. schüttelte, »das Schloß des Herrn Grafen Westwest.«
»Und man muß die Erlaubnis zum Übernachten haben?« fragte K., als
wolle er sich davon überzeugen, ob er die früheren Mitteilungen nicht
vielleicht geträumt hätte.
»Die Erlaubnis muß man haben«, war die Antwort, und es lag darin ein
großer Spott für K., als der junge Mann mit ausgestrecktem Arm den Wirt
5
back to the
book Das Schloss"
Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik