Page - 12 - in Das Schloss
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K. aber war zerstreut, durch das Gespräch verärgert. Zum erstenmal seit
seinem Kommen fühlte er wirkliche Müdigkeit. Der weite Weg hierher schien
ihn ursprünglich gar nicht angegriffen zu haben, wie war er durch die Tage
gewandert, ruhig, Schritt für Schritt! – Jetzt aber zeigten sich doch die Folgen
der übergroßen Anstrengung, zur Unzeit freilich. Es zog ihn unwiderstehlich
hin, neue Bekanntschaften zu suchen, aber jede neue Bekanntschaft verstärkte
die Müdigkeit. Wenn er sich in seinem heutigen Zustand zwang, seinen
Spaziergang wenigstens bis zum Eingang des Schlosses auszudehnen, war
übergenug getan.
So ging er wieder vorwärts, aber es war ein langer Weg. Die Straße
nämlich, die Hauptstraße des Dorfes, führte nicht zum Schloßberg, sie führte
nur nahe heran, dann aber, wie absichtlich, bog sie ab, und wenn sie sich auch
vom Schloß nicht entfernte, so kam sie ihm doch auch nicht näher. Immer
erwartete K., daß nun endlich die Straße zum Schloß einlenken müsse und
nur, weil er es erwartete, ging er weiter; offenbar infolge seiner Müdigkeit
zögerte er, die Straße zu verlassen, auch staunte er über die Länge des Dorfes,
das kein Ende nahm, immer wieder die kleinen Häuschen und vereisten
Fensterscheiben und Schnee und Menschenleere – endlich riß er sich los von
dieser festhaltenden Straße, ein schmales Gäßchen nahm ihn auf, noch tieferer
Schnee, das Herausziehen der einsinkenden Füße war eine schwere Arbeit,
Schweiß brach ihm aus, plötzlich stand er still und konnte nicht mehr weiter.
Nun, er war ja nicht verlassen, rechts und links standen Bauernhütten. Er
machte einen Schneeball und warf ihn gegen ein Fenster. Gleich öffnete sich
die Türe – die erste sich öffnende Türe während des ganzen Dorfweges – und
ein alter Bauer, in brauner Pelzjoppe, den Kopf seitwärts geneigt, freundlich
und schwach, stand dort. »Darf ich ein wenig zu Euch kommen?« sagte K.,
»ich bin sehr müde.« Er hörte gar nicht, was der Alte sagte, dankbar nahm er
es an, daß ihm ein Brett entgegengeschoben wurde, das ihn gleich aus dem
Schnee rettete, und mit ein paar Schritten stand er in der Stube.
Eine große Stube im Dämmerlicht. Der von draußen Kommende sah zuerst
gar nichts. K. taumelte gegen einen Waschtrog, eine Frauenhand hielt ihn
zurück. Aus einer Ecke kam viel Kindergeschrei. Aus einer anderen Ecke
wälzte sich Rauch und machte aus dem Halblicht Finsternis. K. stand wie in
Wolken. »Er ist ja betrunken«, sagte jemand. »Wer seid Ihr?« rief eine
herrische Stimme und wohl zu dem Alten gewendet: »Warum hast du ihn
hereingelassen? Kann man alles hereinlassen, was auf den Gassen
herumschleicht?« – »Ich bin der gräfliche Landvermessen«, sagte K. und
suchte sich so vor den noch immer Unsichtbaren zu verantworten. »Ach, es
ist der Landvermesser«, sagte eine weibliche Stimme, und nun folgte eine
vollkommene Stille. »Ihr kennt mich?« fragte K. »Gewiß«, sagte noch kurz
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Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik