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freilich, das war zu erkennen – die Frage gar nicht auf, ließ sie über sich
ergehen, wie ein wohlerzogener Diener ein für ihn nur scheinbar bestimmtes
Wort des Herrn, blickte nur im Sinne der Frage umher, begrüßte durch
Handwinken Bekannte unter den Bauern und tauschte mit den Gehilfen ein
paar Worte aus, das alles frei und selbständig, ohne sich mit ihnen zu
vermischen. K. kehrte – abgewiesen, aber nicht beschämt – zu dem Brief in
seiner Hand zurück und öffnete ihn. Sein Wortlaut war: »Sehr geehrter Herr!
Sie sind, wie Sie wissen, in die herrschaftlichen Dienste aufgenommen. Ihr
nächster Vorgesetzter ist der Gemeindevorsteher des Dorfes, der Ihnen auch
alles Nähere über Ihre Arbeit und die Lohnbedingungen mitteilen wird und
dem Sie auch Rechenschaft schuldig sein werden. Trotzdem werde aber auch
ich Sie nicht aus den Augen verlieren. Barnabas, der Überbringer dieses
Briefes, wird von Zeit zu Zeit bei Ihnen nachfragen, um Ihre Wünsche zu
erfahren und mir mitzuteilen. Sie werden mich immer bereit finden, Ihnen,
soweit es möglich ist, gefällig zu sein. Es liegt mir daran, zufriedene Arbeiter
zu haben.« Die Unterschrift war nicht leserlich, beigedruckt aber war ihr: Der
Vorstand der X. Kanzlei. »Warte!« sagte K. zu dem sich verbeugenden
Barnabas, dann rief er den Wirt, daß er ihm ein Zimmer zeige, er wollte mit
dem Brief eine Zeitlang allein sein. Dabei erinnerte er sich daran, daß
Barnabas bei aller Zuneigung, die er für ihn hatte, doch nichts anderes als ein
Bote war, und ließ ihm Bier geben. Er gab acht, wie er es annehmen würde, er
nahm es offenbar sehr gern an und trank sogleich. Dann ging K. mit dem
Wirt. In dem Häuschen hatte man für K. nichts als ein kleines Dachzimmer
bereitstellen können, und selbst das hatte Schwierigkeiten gemacht, denn man
hatte zwei Mägde, die bisher dort geschlafen hatten, anderswo unterbringen
müssen. Eigentlich hatte man nichts anderes getan, als die Mägde
weggeschafft, das Zimmer war sonst wohl unverändert, keine Bettwäsche zu
dem einzigen Bett, nur ein paar Polster und eine Pferdedecke in dem Zustand,
wie alles nach der letzten Nacht zurückgeblieben war. An der Wand ein paar
Heiligenbilder und Fotografien von Soldaten. Nicht einmal gelüftet war
worden, offenbar hoffte man, der neue Gast werde nicht lange bleiben, und tat
nichts dazu, ihn zu halten. K. war aber mit allem einverstanden, wickelte sich
in die Decke, setzte sich an den Tisch und begann bei einer Kerze, den Brief
nochmals zu lesen.
Er war nicht einheitlich, es gab Stellen, wo mit ihm wie mit einem Freien
gesprochen wurde, dessen eigenen Willen man anerkennt, so war die
Überschrift, so war die Stelle, die seine Wünsche betraf. Es gab aber wieder
Stellen, wo er offen oder versteckt als ein kleiner, vom Sitz jenes Vorstandes
kaum bemerkbarer Arbeiter behandelt wurde, der Vorstand mußte sich
anstrengen, »ihn nicht aus den Augen zu verlieren«, sein Vorgesetzter war nur
der Dorfvorsteher, dem er sogar Rechenschaft schuldig war, sein einziger
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Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik