Page - 26 - in Das Schloss
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»Wollen wir«, sagte Barnabas, »ins Wirtshaus zurückgehen, damit du mir dort
den neuen Auftrag geben kannst?« Schon hatte er einen Schritt weiter zum
Haus hin gemacht. »Barnabas«, sagte K., »es ist nicht nötig, ich gehe ein
Stückchen Wegs mit dir.« – »Warum willst du nicht ins Wirtshaus gehen?«
fragte Barnabas. »Die Leute stören mich dort«, sagte K., »die Zudringlichkeit
der Bauern hast du selbst gesehen.« – »Wir können in dein Zimmer gehen«,
sagte Barnabas. »Es ist das Zimmer der Mägde«, sagte K., »schmutzig und
dumpf; um dort nicht bleiben zu müssen, wollte ich ein wenig mit dir gehen;
du mußt nur«, fügte K. hinzu, um sein Zögern endgültig zu überwinden,
»mich in dich einhängen lassen, denn du gehst sicherer.« Und K. hing sich an
seinen Arm. Es war ganz finster, sein Gesicht sah K. gar nicht, seine Gestalt
undeutlich, den Arm hatte er, schon ein Weilchen vorher, zu ertasten gesucht.
Barnabas gab nach, sie entfernten sich vom Wirtshaus. Freilich fühlte K.,
daß er trotz größter Anstrengung gleichen Schritt mit Barnabas zu halten nicht
imstande war, seine freie Bewegung hinderte, und daß unter gewöhnlichen
Umständen schon an dieser Nebensächlichkeit alles scheitern müsse, gar in
Seitengassen wie jener, wo K. am Vormittag im Schnee versunken war und
aus der er nur von Barnabas getragen herauskommen konnte. Doch hielt er
solche Besorgnisse jetzt von sich fern, auch tröstete es ihn, daß Barnabas
schwieg; wenn sie schweigend gingen, dann konnte doch auch für Barnabas
nur das Weitergehen selbst den Zweck ihres Beisammenseins bilden.
Sie gingen, aber K. wußte nicht, wohin; nichts konnte er erkennen. Nicht
einmal, ob sie schon an der Kirche vorübergekommen waren, wußte er. Durch
die Mühe, welche ihm das bloße Gehen verursachte, geschah es, daß er seine
Gedanken nicht beherrschen konnte. Statt auf das Ziel gerichtet zu bleiben,
verwirrten sie sich. Immer wieder tauchte die Heimat auf, und Erinnerungen
an sie erfüllten ihn. Auch dort stand auf dem Hauptplatz eine Kirche, zum
Teil war sie von einem alten Friedhof und dieser von einer hohen Mauer
umgeben. Nur sehr wenige Jungen hatten diese Mauer erklettert, auch K. war
es noch nicht gelungen. Nicht Neugier trieb sie dazu, der Friedhof hatte vor
ihnen kein Geheimnis mehr. Durch seine kleine Gittertür waren sie schon oft
hineingekommen, nur die glatte, hohe Mauer wollten sie bezwingen. An
einem Vormittag – der stille, leere Platz war von Licht überflutet, wann hatte
K. ihn je früher oder später so gesehen? – gelang es ihm überraschend leicht;
an einer Stelle, wo er schon oft abgewiesen worden war, erkletterte er, eine
kleine Fahne zwischen den Zähnen, die Mauer im ersten Anlauf. Noch
rieselte Gerölle unter ihm ab, schon war er oben. Er rammte die Fahne ein,
der Wind spannte das Tuch, er blickte hinunter und in die Runde, auch über
die Schulter hinweg, auf die in der Erde versinkenden Kreuze; niemand war
jetzt und hier größer als er. Zufällig kam dann der Lehrer vorüber, trieb K. mit
einem ärgerlichen Blick hinab. Beim Absprung verletzte sich K. am Knie, nur
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Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik