Page - 30 - in Das Schloss
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unterdessen geduldig am Ende des Flurs. »Ich möchte hier gerne
übernachten«, sagte K. »Das ist leider unmöglich«, sagte der Wirt. »Sie
scheinen es noch nicht zu wissen. Das Haus ist ausschließlich für die Herren
vom Schloß bestimmt.« – »Das mag Vorschrift sein«, sagte K., »aber mich
irgendwo in einem Winkel schlafen zu lassen ist gewiß möglich.« – »Ich
würde Ihnen außerordentlich gern entgegenkommen«, sagte der Wirt, »aber
auch abgesehen von der Strenge der Vorschrift, über die Sie nach Art eines
Fremden sprechen, ist es auch deshalb undurchführbar, weil die Herren
äußerst empfindlich sind; ich bin überzeugt, daß sie unfähig sind, wenigstens
unvorbereitet, den Anblick eines Fremden zu ertragen; wenn ich Sie also hier
übernachten ließe und Sie durch einen Zufall – und die Zufälle sind immer
auf seiten der Herren – entdeckt würden, wäre nicht nur ich verloren, sondern
auch Sie selbst. Es klingt lächerlich, aber es ist wahr.« Dieser hohe, fest
zugeknöpfte Herr, der, die eine Hand gegen die Wand gestemmt, die andere in
die Hüfte, die Beine gekreuzt, ein wenig zu K. herabgeneigt, vertraulich zu
ihm sprach, schien kaum mehr zum Dorf zu gehören, wenn auch noch sein
dunkles Kleid nur bäuerisch festlich aussah. »Ich glaube Ihnen vollkommen«,
sagte K., »und auch die Bedeutung der Vorschrift unterschätze ich gar nicht,
wenn ich mich auch ungeschickt ausgedrückt habe. Nur auf eines will ich Sie
noch aufmerksam machen; ich habe im Schloß wertvolle Verbindungen und
werde noch wertvollere bekommen, sie sichern Sie gegen jede Gefahr, die
durch mein Übernachten hier entstehen könnte, und bürgen Ihnen dafür, daß
ich imstande bin, für eine kleine Gefälligkeit vollwertig zu danken.« – »Ich
weiß«, sagte der Wirt und wiederholte nochmals: »Das weiß ich.« Nun hätte
K. sein Verlangen nachdrücklich stellen können, aber gerade diese Antwort
des Wirtes zerstreute ihn, deshalb fragte er nur: Ȇbernachten heute viele
Herren vom Schloß hier?« – »In dieser Hinsicht ist es heute vorteilhaft«, sagte
der Wirt gewissermaßen lockend. »Es ist nur ein Herr geblieben.« Noch
immer konnte K. nicht drängen, hoffte nun auch schon, fast aufgenommen zu
sein; so fragte er nur noch nach dem Namen des Herrn. »Klamm«, sagte der
Wirt nebenbei, während er sich nach seiner Frau umdrehte, welche in
sonderbar abgenutzten, veralteten, mit Rüschen und Falten überladenen, aber
feinen städtischen Kleidern herangerauscht kam. Sie wollte den Wirt holen,
der Herr Vorstand habe irgendeinen Wunsch. Ehe der Wirt aber ging, wandte
er sich noch an K., als habe nicht mehr er selbst, sondern K. wegen des
Übernachtens zu entscheiden. K. konnte aber nichts sagen, besonders der
Umstand, daß gerade sein Vorgesetzter hier war, verblüffte ihn. Ohne daß er
es sich selbst ganz erklären konnte, fühlte er sich Klamm gegenüber nicht so
frei wie sonst gegenüber dem Schloß; von ihm hier ertappt zu werden, wäre
für K. zwar kein Schrecken im Sinne des Wirtes, aber doch eine peinliche
Unzukömmlichkeit gewesen, so etwa, als würde er jemandem, dem er zu
Dankbarkeit verpflichtet war, leichtsinnig einen Schmerz bereiten; dabei
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Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik