Page - 36 - in Das Schloss
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konnte K. ihren Fuß berühren und fühlte sich von jetzt an sicher. Da Frieda K.
nicht erwähnte, mußte es der Wirt schließlich tun. »Und wo ist der
Landvermesser?« fragte er. Er war wohl überhaupt ein höflicher, durch den
dauernden und verhältnismäßig freien Verkehr mit weit Höhergestellten fein
erzogener Mann, aber mit Frieda sprach er in einer besonders achtungsvollen
Art, das fiel vor allem deshalb auf, weil er trotzdem im Gespräch nicht
aufhörte, Arbeitgeber gegenüber einer Angestellten zu sein, gegenüber einer
recht kecken Angestellten überdies. »Den Landvermesser habe ich ganz
vergessen«, sagte Frieda und setzte K. ihren kleinen Fuß auf die Brust. »Er ist
wohl schon längst fortgegangen.«- »Ich habe ihn aber nicht gesehen,« sagte
der Wirt, »und war fast die ganze Zeit über im Flur.« – »Hier ist er aber
nicht«, sagte Frieda kühl. »Vielleicht hat er sich versteckt«, sagte der Wirt,
»nach dem Eindruck, den ich von ihm hatte, ist ihm manches zuzutrauen.« –
»Diese Kühnheit wird er doch wohl nicht haben,« sagte Frieda und drückte
stärker ihren Fuß auf K. Etwas Fröhliches, Freies war in ihrem Wesen, was K.
früher gar nicht bemerkt hatte, und es nahm ganz unwahrscheinlich überhand,
als sie plötzlich lachend mit den Worten: »Vielleicht ist er hier unten
versteckt«, sich zu K. hinabbeugte, ihn flüchtig küßte und wieder aufsprang
und betrübt sagte: »Nein, er ist nicht hier.« Aber auch der Wirt gab Anlaß
zum Erstaunen, als er nun sagte- »Es ist mir sehr unangenehm, daß ich nicht
mit Bestimmtheit weiß, ob er fortgegangen ist. Es handelt sich nicht nur um
Herrn Klamm, es handelt sich um die Vorschrift. Die Vorschrift gilt aber für
Sie, Fräulein Frieda, so wie für mich. Für den Ausschank haften Sie, das
übrige Haus werde ich noch durchsuchen. Gute Nacht! Angenehme Ruhe!«
Er konnte das Zimmer noch gar nicht verlassen haben, schon hatte Frieda das
elektrische Licht ausgedreht und war bei K. unter dem Pult. »Mein Liebling!
Mein süßer Liebling!« flüsterte sie, aber rührte K. gar nicht an, wie
ohnmächtig vor Liebe lag sie auf dem Rücken und breitete die Arme aus, die
Zeit war wohl unendlich vor ihrer glücklichen Liebe, sie seufzte mehr als
sang irgendein kleines Lied. Dann schrak sie auf, da K. still in Gedanken
blieb, und fing an, wie ein Kind ihn zu zerren: »Komm, hier unten erstickt
man ja!« Sie umfaßten einander, der kleine Körper brannte in K.s Händen, sie
rollten in einer Besinnungslosigkeit, aus der sich K. fortwährend, aber
vergeblich, zu retten suchte, ein paar Schritte weit, schlugen dumpf an
Klamms Tür und lagen dann in den kleinen Pfützen Biers und dem sonstigen
Unrat, von dem der Boden bedeckt war. Dort vergingen Stunden, Stunden
gemeinsamen Atems, gemeinsamen Herzschlags, Stunden, in denen K.
immerfort das Gefühl hatte, er verirre sich oder er sei so weit in der Fremde,
wie vor ihm noch kein Mensch, einer Fremde, in der selbst die Luft keinen
Bestandteil der Heimatluft habe, in der man vor Fremdheit ersticken müsse
und in deren unsinnigen Verlockungen man doch nichts tun könne als weiter
gehen, weiter sich verirren. Und so war es wenigstens zunächst für ihn kein
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Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik