Page - 54 - in Das Schloss
Image of the Page - 54 -
Text of the Page - 54 -
Darauf der Vorsteher: »Ich erzähle es Ihnen nicht zur Unterhaltung.«
»Es unterhält mich nur dadurch«, sagte K., »daß ich einen Einblick in das
lächerliche Gewirre bekomme, welches unter Umständen über die Existenz
eines Menschen entscheidet.«
»Sie haben noch keinen Einblick bekommen«, sagte ernst der Vorsteher,
»und ich kann Ihnen weiter erzählen. Von unserer Antwort war natürlich ein
Sordini nicht befriedigt. Ich bewundere den Mann, obwohl er für mich eine
Qual ist. Er mißtraut nämlich jedem, auch wenn er zum Beispiel irgend
jemanden bei unzähligen Gelegenheiten als den vertrauenswürdigsten
Menschen kennengelernt hat, mißtraut er ihm bei der nächsten Gelegenheit,
wie wenn er ihn gar nicht kennte oder richtiger, wie wenn er ihn als Lumpen
kennte. Ich halte das für richtig, ein Beamter muß so vorgehen; leider kann
ich diesen Grundsatz meiner Natur nach nicht befolgen, Sie sehen ja, wie ich
Ihnen, einem Fremden, alles offen vorlege, ich kann eben nicht anders.
Sordini dagegen faßte unserer Antwort gegenüber sofort Mißtrauen. Es
entwickelte sich nun eine große Korrespondenz. Sordini fragte, warum es mir
plötzlich eingefallen sei, daß kein Landvermesser berufen werden solle; ich
antwortete mit Hilfe von Mizzis ausgezeichnetem Gedächtnis, daß doch die
erste Anregung von Amts wegen ausgegangen sei (daß es sich um eine andere
Abteilung handelte, hatten wir natürlich schon längst vergessen); Sordini
dagegen: warum ich diese amtliche Zuschrift erst jetzt erwähne; ich
wiederum: weil ich mich erst jetzt an sie erinnert habe; Sordini: das sei sehr
merkwürdig; ich: das sei gar nicht merkwürdig bei einer so lange sich
hinziehenden Angelegenheit; Sordini: es sei doch merkwürdig, denn die
Zuschrift, an die ich mich erinnert habe, existiere nicht; ich: natürlich
existiere sie nicht, weil der ganze Akt verlorengegangen sei; Sordini: es
müßte aber doch ein Vermerk hinsichtlich jener ersten Zuschrift bestehen, der
aber bestehe nicht. Da stockte ich, denn daß in Sordinis Abteilung ein Fehler
unterlaufen sei, wagte ich weder zu behaupten noch zu glauben. Sie machen
vielleicht, Herr Landvermesser, Sordini in Gedanken den Vorwurf, daß ihn die
Rücksicht auf meine Behauptung wenigstens dazu hätte bewegen sollen, sich
bei anderen Abteilungen nach der Sache zu erkundigen. Gerade das aber wäre
unrichtig gewesen, ich will nicht, daß an diesem Manne auch nur in Ihren
Gedanken ein Makel bleibt. Es ist ein Arbeitsgrundsatz der Behörde, daß mit
Fehlermöglichkeiten überhaupt nicht gerechnet wird. Dieser Grundsatz ist
berechtigt durch die vorzügliche Organisation des Ganzen, und er ist
notwendig, wenn äußerste Schnelligkeit der Erledigung erreicht werden soll.
Sordini durfte sich also bei anderen Abteilungen gar nicht erkundigen,
übrigens hätten ihm diese Abteilungen gar nicht geantwortet, weil sie gleich
gemerkt hätten, daß es sich um Ausforschung einer Fehlermöglichkeit
handle.«
54
back to the
book Das Schloss"
Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik