Page - 55 - in Das Schloss
Image of the Page - 55 -
Text of the Page - 55 -
»Erlauben Sie, Herr Vorsteher, daß ich Sie mit einer Frage unterbreche«,
sagte K., »erwähnten Sie nicht früher einmal eine Kontrollbehörde? Die
Wirtschaft ist ja nach Ihrer Darstellung eine derartige, daß einem bei der
Vorstellung, die Kontrolle könnte ausbleiben, übel wird.«
»Sie sind sehr streng«, sagte der Vorsteher. »Aber vertausendfachen Sie
Ihre Strenge, und sie wird noch immer nichts sein, verglichen mit der Strenge,
welche die Behörde gegen sich selbst anwendet. Nur ein völlig Fremder kann
Ihre Frage stellen. Ob es Kontrollbehörden gibt? Es gibt nur
Kontrollbehörden. Freilich, sie sind nicht dazu bestimmt, Fehler im groben
Wortsinn herauszufinden, denn Fehler kommen ja nicht vor, und selbst, wenn
einmal ein Fehler vorkommt, wie in Ihrem Fall, wer darf denn endgültig
sagen, daß es ein Fehler ist.«
»Das wäre etwas völlig Neues!« rief K.
»Mir ist es etwas sehr Altes«, sagte der Vorsteher. »Ich bin nicht viel anders
als Sie selbst davon überzeugt, daß ein Fehler vorgekommen ist, und Sordini
ist infolge der Verzweiflung darüber schwer erkrankt, und die ersten
Kontrollämter, denen wir die Aufdeckung der Fehlerquelle verdanken,
erkennen hier auch den Fehler. Aber wer darf behaupten, daß die zweiten
Kontrollämter ebenso urteilen und auch die dritten und weiterhin die
anderen?«
»Mag sein«, sagte K., »in solche Überlegungen will ich mich doch lieber
nicht einmischen, auch höre ich ja zum erstenmal von diesen Kontrollämtern
und kann sie natürlich noch nicht verstehen. Nur glaube ich, daß hier
zweierlei unterschieden werden müsse: nämlich erstens das, was innerhalb
der Ämter vorgeht und was dann wieder amtlich so oder so aufgefaßt werden
kann, und zweitens meine wirkliche Person, ich, der ich außerhalb der Ämter
stehe und dem von den Ämtern eine Beeinträchtigung droht, die so unsinnig
wäre, daß ich noch immer an den Ernst der Gefahr nicht glauben kann. Für
das erstere gilt wahrscheinlich das, was Sie, Herr Vorsteher, mit so
verblüffender, außerordentlicher Sachkenntnis erzählen, nur möchte ich aber
dann auch ein Wort über mich hören.«
»Ich komme auch dazu«, sagte der Vorsteher, »doch könnten Sie es nicht
verstehen, wenn ich nicht noch einiges vorausschickte. Schon daß ich jetzt die
Kontrollämter erwähnte, war verfrüht. Ich kehre also zu den Unstimmigkeiten
mit Sordini zurück. Wie erwähnt, ließ meine Abwehr allmählich nach. Wenn
aber Sordini auch nur den geringsten Vorteil gegenüber irgend jemandem in
Händen hat, hat er schon gesiegt, denn nun erhöht sich noch seine
Aufmerksamkeit, Energie, Geistesgegenwart; und er ist für den Angegriffenen
ein schrecklicher, für die Feinde des Angegriffenen ein herrlicher Anblick.
Nur weil ich in anderen Fällen auch dieses letztere erlebt habe, kann ich so
55
back to the
book Das Schloss"
Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik