Page - 56 - in Das Schloss
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von ihm erzählen, wie ich es tue. Übrigens ist es mir noch nie gelungen, ihn
mit Augen zu sehen, er kann nicht herunterkommen, er ist zu sehr mit Arbeit
überhäuft, sein Zimmer ist mir so geschildert worden, daß alle Wände mit
Säulen von großen, aufeinandergestapelten Aktenbündeln verdeckt sind, es
sind dies nur Akten, die Sordini gerade in Arbeit hat, und da immerfort den
Bündeln Akten entnommen und eingefügt werden und alles in großer Eile
geschieht, stürzen diese Säulen immerfort zusammen, und gerade dieses
fortwährende, kurz aufeinanderfolgende Krachen ist für Sordinis
Arbeitszimmer bezeichnend geworden. Nun ja, Sordini ist ein Arbeiter, und
dem kleinsten Fall widmet er die gleiche Sorgfalt wie dem größten.«
»Sie nennen, Herr Vorsteher«, sagte K., »meinen Fall immer einen der
kleinsten, und doch hat er viele Beamte sehr beschäftigt, und wenn er
vielleicht auch anfangs sehr klein war, so ist er doch durch den Eifer von
Beamten von Herrn Sordinis Art zu einem großen Fall geworden. Leider, und
sehr gegen meinen Willen, denn mein Ehrgeiz geht nicht dahin, große, mich
betreffende Aktensäulen entstehen und zusammenkrachen zu lassen, sondern
als kleiner Landvermesser bei einem kleinen Zeichentisch ruhig zu arbeiten.
»Nein«, sagte der Vorsteher, »es ist kein großer Fall. In dieser Hinsicht
haben Sie keinen Grund zur Klage, es ist einer der kleinsten Fälle unter den
kleinen. Der Umfang der Arbeit bestimmt nicht den Rang des Falles, Sie sind
noch weit entfernt vom Verständnis für die Behörde, wenn Sie das glauben.
Aber selbst wenn es auf den Umfang der Arbeit ankäme, wäre Ihr Fall einer
der geringsten, die gewöhnlichen Fälle, also jene ohne sogenannte Fehler,
geben noch viel mehr und freilich auch viel ergiebigere Arbeit. Übrigens
wissen Sie ja noch gar nichts von der eigentlichen Arbeit, die Ihr Fall
verursachte, von der will ich ja erst erzählen. Zunächst ließ mich nun Sordini
aus dem Spiel, aber seine Beamten kamen, täglich fanden protokollarische
Verhöre angesehener Gemeindemitglieder im Herrenhof statt. Die meisten
hielten zu mir, nur einige wurden stutzig; die Frage der Landvermessung geht
einem Bauern nahe, sie witterten irgendwelche geheime Verabredungen und
Ungerechtigkeiten, fanden überdies einen Führer, und Sordini mußte aus
ihren Angaben die Überzeugung gewinnen, daß, wenn ich die Frage im
Gemeinderat vorgebracht hätte, nicht alle gegen die Berufung eines
Landvermessers gewesen wären. So wurde eine Selbstverständlichkeit – daß
nämlich kein Landvermesser nötig ist – immerhin zumindest fragwürdig
gemacht. Besonders zeichnete sich hierbei ein gewisser Brunswick aus – Sie
kennen ihn wohl nicht -, er ist vielleicht nicht schlecht, aber dumm und
phantastisch, er ist ein Schwager von Lasemann.«
»Vom Gerbermeister?« fragte K. und beschrieb den Vollbärtigen, den er bei
Lasemann gesehen hatte.
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Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik