Page - 57 - in Das Schloss
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»Ja, das ist er«, sagte der Vorsteher.
»Ich kenne auch seine Frau«, sagte K., ein wenig aufs Geratewohl.
»Das ist möglich«, sagte der Vorsteher und verstummte.
»Sie ist schön«, sagte K., »aber ein wenig bleich und kränklich. Sie stammt
wohl aus dem Schloß?« Das war halb fragend gesagt.
Der Vorsteher sah auf die Uhr, goß Medizin auf einen Löffel und schluckte
sie hastig.
»Sie kennen im Schloß wohl nur die Büroeinrichtungen?« fragte K. grob.
»Ja«, sagte der Vorsteher mit einem ironischen und doch dankbaren
Lächeln. »Sie sind auch das Wichtigste. Und was Brunswick betrifft: Wenn
wir ihn aus der Gemeinde ausschließen könnten, wären wir fast alle glücklich
und Lasemann nicht am wenigsten. Aber damals gewann Brunswick einigen
Einfluß, ein Redner ist er zwar nicht, aber ein Schreier, und auch das genügt
manchen. Und so kam es, daß ich gezwungen wurde, die Sache dem
Gemeinderate vorzulegen, übrigens zunächst Brunswicks einziger Erfolg,
denn natürlich wollte der Gemeinderat mit großer Mehrheit von einem
Landvermesser nichts wissen. Auch das ist nun schon jahrelang her, aber die
ganze Zeit über ist die Sache nicht zur Ruhe gekommen, zum Teil durch die
Gewissenhaftigkeit Sordinis, der die Beweggründe sowohl der Majorität als
auch der Opposition durch die sorgfältigsten Erhebungen zu erforschen
suchte, zum Teil durch die Dummheit und den Ehrgeiz Brunswicks, der
verschiedene persönliche Verbindungen mit den Behörden hat, die er mit
immer neuen Erfindungen seiner Phantasie in Bewegung brachte. Sordini
allerdings ließ sich von Brunswick nicht täuschen, wie könnte Brunswick
Sordini täuschen? – Aber eben um sich nicht täuschen zu lassen, waren neue
Erhebungen nötig, und noch ehe sie beendigt waren, hatte Brunswick schon
wieder etwas Neues ausgedacht, sehr beweglich ist er ja, es gehört das zu
seiner Dummheit. Und nun komme ich auf eine besondere Eigenschaft
unseres behördlichen Apparates zu sprechen. Entsprechend seiner Präzision
ist er auch äußerst empfindlich. Wenn eine Angelegenheit sehr lange erwogen
worden ist, kann es, auch ohne daß die Erwägungen schon beendet wären,
geschehen, daß plötzlich blitzartig an einer unvorhersehbaren und auch später
nicht mehr auffindbaren Stelle eine Erledigung hervorkommt, welche die
Angelegenheit, wenn auch meistens sehr richtig, so doch immerhin
willkürlich abschließt. Es ist, als hätte der behördliche Apparat die Spannung,
die jahrelange Aufreizung durch die gleiche, vielleicht an sich geringfügige
Angelegenheit nicht mehr ertragen und aus sich selbst heraus, ohne Mithilfe
der Beamten, die Entscheidung getroffen. Natürlich ist kein Wunder
geschehen, und gewiß hat irgendein Beamter die Erledigung geschrieben oder
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Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik