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eine ungeschriebene Entscheidung getroffen, jedenfalls aber kann, wenigstens
von uns aus, von hier aus, ja selbst vom Amt aus nicht festgestellt werden,
welcher Beamte in diesem Fall entschieden hat, und aus welchen Gründen.
Erst die Kontrollämter stellen das viel später fest; wir aber erfahren es nicht
mehr, es würde übrigens dann auch kaum jemanden noch interessieren. Nun
sind, wie gesagt, gerade diese Entscheidungen meistens vortrefflich, störend
ist an ihnen nur, daß man, wie es gewöhnlich die Sache mit sich bringt, von
diesen Entscheidungen zu spät erfährt und daher inzwischen über längst
entschiedene Angelegenheiten noch immer leidenschaftlich berät. Ich weiß
nicht, ob in Ihrem Fall eine solche Entscheidung ergangen ist – manches
spricht dafür, manches dagegen -; wenn es aber geschehen wäre, so wäre die
Berufung an Sie geschickt worden, und Sie hätten die große Reise hierher
gemacht, viel Zeit wäre dabei vergangen, und inzwischen hätte noch immer
Sordini hier in der gleichen Sache bis zur Erschöpfung gearbeitet, Brunswick
intrigiert, und ich wäre von beiden gequält worden. Diese Möglichkeit deute
ich nur an, bestimmt aber weiß ich folgendes: Ein Kontrollamt entdeckte
inzwischen, daß aus der Abteilung A vor vielen Jahren an die Gemeinde eine
Anfrage wegen eines Landvermessers ergangen sei, ohne daß bisher eine
Antwort gekommen wäre. Man fragte neuerlich bei mir an, und nun war
freilich die ganze Sache aufgeklärt, die Abteilung A begnügte sich mit meiner
Antwort, daß kein Landvermesser nötig sei, und Sordini mußte erkennen, daß
er in diesem Falle nicht zuständig gewesen war und, freilich schuldlos, so
viele unnütze, nervenzerstörende Arbeit geleistet hatte. Wenn nicht neue
Arbeit von allen Seiten sich herangedrängt hätte wie immer und wenn nicht
Ihr Fall doch nur ein sehr kleiner Fall gewesen wäre – man kann fast sagen,
der kleinste unter den kleinen -, so hätten wir wohl alle aufgeatmet, ich
glaube, sogar Sordini selbst. Nur Brunswick grollte, aber das war nur
lächerlich. Und nun stellen Sie sich, Herr Landvermesser, meine
Enttäuschung vor, als jetzt, nach glücklicher Beendigung der ganzen
Angelegenheit – und auch seither ist schon wieder viel Zeit verflossen -,
plötzlich Sie auftreten und es den Anschein bekommt, als sollte die Sache
wieder von vorn beginnen. Daß ich fest entschlossen bin, dies, soweit es an
mir liegt, auf keinen Fall zuzulassen, das werden Sie wohl verstehen?«
»Gewiß«, sagte K., »noch besser aber verstehe ich, daß hier ein
entsetzlicher Mißbrauch mit mir, vielleicht sogar mit den Gesetzen getrieben
wird. Ich werde mich für meine Person dagegen zu wehren wissen.«
»Wie wollen Sie das tun?« fragte der Vorsteher.
»Das kann ich nicht verraten«, sagte K.
»Ich will mich nicht aufdrängen«, sagte der Vorsteher, »nur gebe ich Ihnen zu
bedenken, daß Sie in mir – ich will nicht sagen, einen Freund, denn wir sind
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Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik