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6Kapitel
Vor dem Wirtshaus erwartete ihn der Wirt. Ohne gefragt zu werden, hätte er
nicht zu sprechen gewagt, deshalb fragte ihn K., was er wolle. »Hast du schon
eine neue Wohnung?« fragte der Wirt, zu Boden sehend. »Du fragst im
Auftrage deiner Frau«, sagte K., »du bist wohl sehr abhängig von ihr?« –
»Nein«, sagte der Wirt, »ich frage nicht in ihrem Auftrag. Aber sie ist sehr
aufgeregt und unglücklich deinetwegen, kann nicht arbeiten, liegt im Bett und
seufzt und klagt fortwährend.« – »Soll ich zu ihr gehen?« fragte K. »Ich bitte
dich darum«, sagte der Wirt, »ich wollte dich schon vom Vorsteher holen,
horchte dort an der Tür, aber ihr wart im Gespräch, ich wollte nicht stören,
auch hatte ich Sorge wegen meiner Frau, lief wieder zurück, sie ließ mich
aber nicht zu sich, so blieb mir nichts übrig, als auf dich zu warten.« – »Dann
komm also schnell«, sagte K., »ich werde sie bald beruhigen.« – »Wenn es
nur gelingen wollte«, sagte der Wirt.
Sie gingen durch die lichte Küche, wo drei oder vier Mägde, jede weit von
der anderen, bei ihrer zufälligen Arbeit im Anblick K.s förmlich erstarrten.
Schon in der Küche hörte man das Seufzen der Wirtin. Sie lag in einem durch
eine leichte Bretterwand von der Küche abgetrennten, fensterlosen Verschlag.
Er hatte nur Raum für ein großes Ehebett und einen Schrank. Das Bett war so
aufgestellt, daß man von ihm aus die ganze Küche übersehen und die Arbeit
beaufsichtigen konnte. Dagegen war von der Küche aus im Verschlag kaum
etwas zu sehen. Dort war es ganz finster, nur das weiß-rote Bettzeug
schimmerte ein wenig hervor. Erst wenn man eingetreten war und die Augen
sich eingewöhnt hatten, unterschied man Einzelheiten.
»Endlich kommen Sie«, sagte die Wirtin schwach. Sie lag auf dem Rücken
ausgestreckt, der Atem machte ihr offenbar Beschwerden, sie hatte das
Federbett zurückgeworfen. Sie sah im Bett viel jünger aus als in den Kleidern,
aber ein Nachthäubchen aus zartem Spitzengewebe, das sie trug, obwohl es zu
klein war und auf ihrer Frisur schwankte, machte die Verfallenheit des
Gesichtes mitleiderregend. »Wie hätte ich kommen sollen?« sagte K. sanft.
»Sie haben mich doch nicht rufen lassen.« – »Sie hätten mich nicht so lange
warten lassen sollen«, sagte die Wirtin mit dem Eigensinn des Kranken.
»Setzen Sie sich«, sagte sie und zeigte auf den Bettrand, »ihr anderen geht
aber fort!« Außer den Gehilfen hatten sich inzwischen auch die Mägde
eingedrängt. »Ich will auch fortgehen, Gardena«, sagte der Wirt. K. hörte zum
erstenmal den Namen der Frau. »Natürlich«, sagte sie langsam und, als sei sie
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Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik