Page - 69 - in Das Schloss
Image of the Page - 69 -
Text of the Page - 69 -
Junge ist, kam es vor, daß er mit mir weinte. Und als der damalige Gastwirt,
dem die Frau gestorben war und der deshalb das Gewerbe aufgeben mußte –
auch war er schon ein alter Mann -, einmal an unserem Gärtchen vorüberkam
und uns dort sitzen sah, blieb er stehen und bot uns kurzerhand das Wirtshaus
zur Pacht an, wollte, weil er Vertrauen zu uns habe, kein Geld im voraus und
setzte die Pacht sehr billig an. Dem Vater wollte ich nicht zur Last fallen, alles
andere war mir gleichgültig, und so reichte ich in Gedanken an das Wirtshaus
und an die neue, vielleicht ein wenig Vergessen bringende Arbeit Hans die
Hand. Das ist die Geschichte.«
Es war ein Weilchen still, dann sagte K.: »Die Handlungsweise des Gastwirts
war schön, aber unvorsichtig, oder hatte er besondere Gründe für sein
Vertrauen zu Ihnen beiden?«
»Er kannte Hans gut«, sagte die Wirtin, »er war Hansens Onkel.«
»Dann freilich«, sagte K. »Hansens Familie war also offenbar viel an der
Verbindung mit Ihnen gelegen?«
»Vielleicht«, sagte die Wirtin, »ich weiß es nicht, ich kümmerte mich nie
darum.«
»Es muß doch aber so gewesen sein«, sagte K., »wenn die Familie bereit
war, solche Opfer zu bringen und das Wirtshaus einfach, ohne Sicherung, in
Ihre Hände zu geben.«
»Es war nicht unvorsichtig, wie sich später gezeigt hat«, sagte die Wirtin.
»Ich warf mich in die Arbeit, stark war ich, des Schmiedes Tochter, ich
brauchte nicht Magd, nicht Knecht; ich war überall, in der Wirtsstube, in der
Küche, im Stall, im Hof, ich kochte so gut, daß ich sogar dem Herrenhof
Gäste abjagte. Sie waren zu Mittag noch nicht in der Wirtsstube, Sie kennen
nicht unsere Mittagsgäste, damals waren noch mehr, seitdem haben sich
schon viele verlaufen. Und das Ereignis war, daß wir nicht nur die Pacht
richtig zahlen konnten, sondern nach einigen Jahren das Ganze kauften und es
heute fast schuldenfrei ist. Das weitere Ergebnis freilich war, daß ich mich
dabei zerstörte, herzkrank wurde und nun eine alte Frau geworden bin. Sie
glauben vielleicht, daß ich viel älter als Hans bin, aber in Wirklichkeit ist er
nur zwei oder drei Jahre jünger und wird allerdings niemals altern, denn bei
seiner Arbeit – Pfeiferauchen, den Gästen zuhören, dann die Pfeife
ausklopfen und manchmal ein Bier holen -, bei dieser Arbeit altert man
nicht.«
»Ihre Leistungen sind bewundernswert«, sagte K., »daran ist kein Zweifel,
aber wir sprachen von den Zeiten vor Ihrer Heirat, und damals wäre es doch
merkwürdig gewesen, wenn Hansens Familie unter Geldopfern oder
zumindest mit Übernahme eines so großen Risikos, wie es die Hingabe des
69
back to the
book Das Schloss"
Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik