Page - 72 - in Das Schloss
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überredet, in ihr Zimmer hinaufzugehen und dort zu bleiben; ich fürchtete, Sie
würden in ihrer Anwesenheit nicht genug offen sprechen.«
»Ich habe nichts zu verbergen«, sagte K. »Zunächst aber will ich Sie auf
etwas aufmerksam machen. Klamm vergißt gleich, sagten Sie. Das kommt
mir nun erstens sehr unwahrscheinlich vor, zweitens aber ist es unbeweisbar,
offenbar nichts anderes als eine Legende, ausgedacht vom Mädchenverstand
derjenigen, welche bei Klamm gerade in Gnade waren. Ich wundere mich,
daß Sie einer so platten Erfindung glauben.«
»Es ist keine Legende«, sagte die Wirtin, »es ist vielmehr der allgemeinen
Erfahrung entnommen.«
»Also auch durch eine Erfindung zu widerlegen«, sagte K. »Dann gibt es
aber auch noch einen Unterschied zwischen Ihrem und Friedas Fall. Daß
Klamm Frieda nicht mehr gerufen hätte, ist gewissermaßen gar nicht
vorgekommen, vielmehr hat er sie gerufen, aber sie hat nicht gefolgt. Es ist
sogar möglich, daß er noch immer auf sie wartet.«
Die Wirtin schwieg und ließ nur ihren Blick beobachtend an K. auf und ab
gehen. Dann sagte sie: »Ich will allem, was Sie zu sagen haben, ruhig
zuhören. Reden Sie lieber offen, als daß Sie mich schonen. Nur eine Bitte
habe ich. Gebrauchen Sie nicht Klamms Namen. Nennen Sie ihn ›Er‹ oder
sonstwie, aber nicht beim Namen.«
»Gern«, sagte K., »aber was ich von ihm will, ist schwer zu sagen.
Zunächst will ich ihn in der Nähe sehen, dann will ich seine Stimme hören,
dann will ich von ihm wissen, wie er sich zu unserer Heirat verhält. Worum
ich ihn dann vielleicht noch bitten werde, hängt vom Verlauf der Unterredung
ab. Es kann manches zur Sprache kommen, aber das wichtigste ist doch für
mich, daß ich ihm gegenüberstehe. Ich habe nämlich noch mit keinem
wirklichen Beamten unmittelbar gesprochen. Es scheint das schwerer zu
erreichen zu sein, als ich glaubte. Nun aber habe ich die Pflicht, mit ihm als
einem Privatmann zu sprechen, und dieses ist meiner Meinung nach viel
leichter durchzusetzen. Als Beamten kann ich ihn nur in seinem vielleicht
unzugänglichen Büro sprechen, im Schloß oder, was schon fraglich ist, im
Herrenhof. Als Privatmann aber überall, im Haus, auf der Straße, wo es mir
nur gelingt, ihm zu begegnen. Daß ich dann nebenbei auch den Beamten mir
gegenüber haben werde, werde ich gern hinnehmen, aber es ist nicht mein
erstes Ziel.«
»Gut«, sagte die Wirtin und drückte ihr Gesicht in die Kissen, als sage sie
etwas Schamloses. »Wenn ich durch meine Verbindungen es erreiche, daß
Ihre Bitte um eine Unterredung zu Klamm geleitet wird, versprechen Sie mir,
bis zum Herabkommen der Antwort nichts auf eigene Faust zu
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Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik