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sein Waschen und seine Unruhe mit der Dringlichkeit des beabsichtigten
Besuches. Der Lehrer ging darüber hinweg und sagte: »Sie waren unhöflich
gegenüber dem Herrn Gemeindevorsteher, diesem alten, verdienten,
vielerfahrenen, ehrwürdigen Mann.« – »Daß ich unhöflich gewesen wäre,
weiß ich nicht«, sagte K., während er sich abtrocknete, »daß ich aber an
anderes zu denken hatte als an ein feines Benehmen, ist richtig, denn es
handelte sich um meine Existenz, die bedroht ist durch eine schmachvolle
amtliche Wirtschaft, deren Einzelheiten ich Ihnen nicht darlegen muß, da Sie
selbst ein tätiges Glied dieser Behörde sind. Hat sich der Gemeindevorsteher
über mich beklagt?« – »Wem gegenüber hätte er sich beklagen sollen?« sagte
der Lehrer. »Und selbst, wenn er jemanden hätte, würde er sich denn jemals
beklagen? Ich habe nur ein kleines Protokoll nach seinem Diktat über Ihre
Besprechung aufgesetzt und daraus über die Güte des Herrn Vorstehers und
über die Art Ihrer Antworten genug erfahren.«
Während K. seinen Kamm suchte, den Frieda irgendwo eingeordnet haben
mußte, sagte er: »Wie? Ein Protokoll? In meiner Abwesenheit nachträglich
aufgesetzt von jemandem, der gar nicht bei der Besprechung war? Das ist
nicht übel. Und warum denn ein Protokoll? War es denn eine amtliche
Handlung?« – »Nein«, sagte der Lehrer, »eine halbamtliche, auch das
Protokoll ist nur halbamtlich; es wurde nur gemacht, weil bei uns in allem
strenge Ordnung sein muß. Jedenfalls liegt es nun vor und dient nicht zu Ihrer
Ehre.« K., der den Kamm, der ins Bett geglitten war, endlich gefunden hatte,
sagte ruhiger: »Mag es vorliegen. Sind Sie gekommen, mir das zu melden?« –
»Nein«, sagte der Lehrer, »aber ich bin kein Automat und mußte Ihnen meine
Meinung sagen. Mein Auftrag dagegen ist ein weiterer Beweis der Güte des
Herrn Vorstehers; ich betone, daß mir diese Güte unbegreiflich ist und daß ich
nur unter dem Zwang meiner Stellung und in Verehrung des Herrn Vorstehers
den Auftrag ausführe.« K., gewaschen und gekämmt, saß nun in Erwartung
des Hemdes und der Kleider bei Tisch; er war wenig neugierig auf das, was
der Lehrer ihm brachte; auch war er beeinflußt von der geringen Meinung,
welche die Wirtin vom Vorsteher hatte. »Es ist wohl schon Mittag vorüber?«
fragte er in Gedanken an den Weg, den er vorhatte, dann verbesserte er sich
und sagte: »Sie wollten mir etwas vom Vorsteher ausrichten.« – »Nun ja«,
sagte der Lehrer mit einem Achselzucken, als schüttle er jede eigene
Verantwortung von sich ab. »Der Herr Vorsteher befürchtet, daß Sie, wenn die
Entscheidung Ihrer Angelegenheit zu lange ausbleibt, etwas Unbedachtes auf
eigene Faust tun werden. Ich für meinen Teil weiß nicht, warum er das
befürchtet; meine Ansicht ist, daß Sie doch am besten tun mögen, was Sie
wollen. Wir sind nicht Ihre Schutzengel und haben keine Verpflichtung, Ihnen
auf allen Ihren Wegen nachzulaufen. Nun gut. Der Herr Vorsteher ist anderer
Meinung. Die Entscheidung selbst, welche Sache der gräflichen Behörden ist,
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Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik