Page - 86 - in Das Schloss
Image of the Page - 86 -
Text of the Page - 86 -
Pferde ein wenig unruhig wurden wegen des aus dem Dunkel auftauchenden
Mannes, blieb er gänzlich unbekümmert. Das war K. sehr willkommen.
Angelehnt an die Mauer, packte er sein Essen aus, gedachte dankbar Friedas,
die ihn so gut versorgt hatte, und spähte dabei in das Innere des Hauses. Eine
rechtwinklig gebrochene Treppe führte herab und war unten von einem
niedrigen, aber scheinbar tiefen Gang gekreuzt; alles war rein, weiß getüncht,
scharf und gerade abgegrenzt.
Das Warten dauerte länger, als K. gedacht hatte. Längst schon war er mit
dem Essen fertig, die Kälte war empfindlich, aus der Dämmerung war schon
völlige Finsternis geworden, und Klamm kam immer noch nicht. »Das kann
noch sehr lange dauern«, sagte plötzlich eine rauhe Stimme so nahe bei K.,
daß er zusammenfuhr. Es war der Kutscher, der, wie aufgewacht, sich streckte
und laut gähnte. »Was kann denn lange dauern?« fragte K., nicht undankbar
wegen der Störung, denn die fortwährende Stille und Spannung war schon
lästig gewesen. »Ehe Sie weggehen werden«, sagte der Kutscher. K. verstand
ihn nicht, fragte aber nicht weiter, er glaubte auf diese Weise den
Hochmütigen am besten zum Reden zu bringen. Ein Nichtantworten hier in
der Finsternis war fast aufreizend. Und tatsächlich fragte der Kutscher nach
einem Weilchen: »Wollen Sie Kognak?« – »Ja«, sagte K. unüberlegt, durch
das Angebot allzusehr verlockt, denn ihn fröstelte. »Dann machen Sie den
Schlitten auf«, sagte der Kutscher, »in der Seitentasche sind einige Flaschen,
nehmen Sie eine, trinken Sie und reichen Sie sie mir dann. Mir ist es wegen
des Pelzes zu beschwerlich hinunterzusteigen.« Es verdroß K., solche
Handreichungen zu machen, aber da er sich nun mit dem Kutscher schon
eingelassen hatte, gehorchte er, selbst auf die Gefahr hin, beim Schlitten etwa
von Klamm überrascht zu werden. Er öffnete die breite Tür und hätte gleich
aus der Tasche, welche auf der Innenseite der Tür angebracht war, die Flasche
herausziehen können, aber da nun die Tür offen war, trieb es ihn so sehr in
das Innere des Schlittens, daß er nicht widerstehen konnte, nur einen
Augenblick lang wollte er darin sitzen. Er huschte hinein. Außerordentlich
war die Wärme im Schlitten, und sie blieb so, obwohl die Tür, die K. nicht zu
schließen wagte, weit offen war. Man wußte gar nicht, ob man auf einer Bank
saß, sosehr lag man in Decken, Polstern und Pelzen; nach allen Seiten konnte
man sich drehen und strecken, immer versank man weich und warm. Die
Arme ausgebreitet, den Kopf durch Polster gestützt, die immer bereit waren,
blickte K. aus dem Schlitten in das dunkle Haus. Warum dauerte es so lange,
ehe Klamm herunterkam? Wie betäubt von der Wärme nach dem langen
Stehen im Schnee, wünschte K., daß Klamm endlich komme. Der Gedanke,
daß er in seiner jetzigen Lage von Klamm lieber nicht gesehen werden sollte,
kam ihm nur undeutlich, als leise Störung, zu Bewußtsein. Unterstützt in
dieser Vergeßlichkeit wurde er durch das Verhalten des Kutschers, der doch
86
back to the
book Das Schloss"
Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik