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aufgerissenen Augen, erhitztem Gesicht, winkte sie mit dem Finger zu sich,
und nun blickten sie abwechselnd durch, der Wirtin blieb zwar der größte
Anteil, aber auch Pepi wurde immer bedacht, der Herr war der
verhältnismäßig Gleichgültigste. Pepi und der Herr kamen auch bald zurück,
nur die Wirtin sah noch immer angestrengt hindurch, tief gebückt, fast kniend,
man hatte fast den Eindruck, als beschwöre sie jetzt nur noch das
Schlüsselloch, sie durchzulassen, denn zu sehen war wohl schon längst nichts
mehr. Als sie sich dann endlich doch erhob, mit den Händen das Gesicht
überfuhr, die Haare ordnete, tief Atem holte, die Augen scheinbar erst wieder
an das Zimmer und die Leute hier gewöhnen mußte und es mit Widerwillen
tat, sagte K., nicht um sich etwas bestätigen zu lassen, was er wußte, sondern
um einem Angriff zuvorzukommen, den er fast fürchtete, so verletzlich war er
jetzt: »Ist also Klamm schon fortgefahren?« Die Wirtin ging stumm an ihm
vorüber, aber der Herr sagte von seinem Tischchen her: »Ja, gewiß. Da Sie
Ihren Wachtposten aufgegeben hatten, konnte ja Klamm fahren. Aber
wunderbar ist es, wie empfindlich der Herr ist. Bemerkten Sie, Frau Wirtin,
wie unruhig Klamm ringsumher sah?« Die Wirtin schien das nicht bemerkt zu
haben, aber der Herr fuhr fort: »Nun, glücklicherweise war ja nichts mehr zu
sehen, der Kutscher hatte auch die Fußspuren im Schnee glattgekehrt.« – »Die
Frau Wirtin hat nichts bemerkt«, sagte K., aber er sagte es nicht aus
irgendeiner Hoffnung, sondern nur gereizt durch des Herrn Behauptung, die
so abschließend und inappellabel hatte klingen wollen. »Vielleicht war ich
gerade nicht beim Schlüsselloch«, sagte die Wirtin, zunächst um den Herrn in
Schutz zu nehmen, dann aber wollte sie auch Klamm sein Recht geben und
fügte hinzu: »Allerdings, ich glaube nicht an eine so große Empfindlichkeit
Klamms. Wir freilich haben Angst um ihn und suchen ihn zu schützen und
gehen hierbei von der Annahme einer äußersten Empfindlichkeit Klamms
aus. Das ist gut so und gewiß Klamms Wille. Wie es sich aber in Wirklichkeit
verhält, wissen wir nicht. Gewiß, Klamm wird mit jemandem, mit dem er
nicht sprechen will, niemals sprechen, soviel Mühe sich auch dieser jemand
gibt und so unerträglich er sich vordrängt, aber diese Tatsache allein, daß
Klamm niemals mit ihm sprechen, niemals ihn vor sein Angesicht kommen
lassen wird, genügt ja, warum sollte er in Wirklichkeit den Anblick irgend
jemandes nicht ertragen können. Zumindest läßt es sich nicht beweisen, da es
niemals zur Probe kommen wird.« Der Herr nickte eifrig. »Es ist das natürlich
im Grunde auch meine Meinung«, sagte er, »habe ich mich ein wenig anders
ausgedrückt, so geschah es, um dem Herrn Landvermesser verständlich zu
sein. Richtig jedoch ist, daß sich Klamm, als er ins Freie trat, mehrmals im
Halbkreis umgesehen hat.« – »Vielleicht hat er mich gesucht «, sagte K.
»Möglich«, sagte der Herr, »darauf bin ich nicht verfallen.« Alle lachten,
Pepi, die kaum etwas von dem Ganzen verstand, am lautesten.
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Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik