Page - 92 - in Das Schloss
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»Da wir jetzt so fröhlich beisammen sind«, sagte dann der Herr, »würde ich
Sie, Herr Landvermesser, sehr bitten, durch einige Angaben meine Akten zu
ergänzen.« – »Es wird hier viel geschrieben«, sagte K. und blickte von der
Ferne auf die Akten hin. »Ja, eine schlechte Angewohnheit«, sagte der Herr
und lachte wieder, »aber vielleicht wissen Sie noch gar nicht, wer ich bin. Ich
bin Momus, der Dorfsekretär Klamms.« Nach diesen Worten wurde es im
ganzen Zimmer ernst; obwohl die Wirtin und Pepi den Herrn natürlich
kannten, waren sie doch wie betroffen von der Nennung des Namens und der
Würde. Und sogar der Herr selbst, als habe er für die eigene
Aufnahmefähigkeit zuviel gesagt und als wolle er wenigstens vor jeder
nachträglichen, den eigenen Worten innewohnenden Feierlichkeit sich
flüchten, vertiefte sich in die Akten und begann zu schreiben, daß man im
Zimmer nichts als die Feder hörte. »Was ist denn das: Dorfsekretär?« fragte
K. nach einem Weilchen. Für Momus, der es jetzt, nachdem er sich vorgestellt
hatte, nicht mehr für angemessen hielt, solche Erklärungen selbst zu geben,
sagte die Wirtin: »Herr Momus ist der Sekretär Klamms wie irgendeiner der
Klammschen Sekretäre, aber sein Amtssitz und, wenn ich nicht irre, auch
seine Amtswirksamkeit -«, Momus schüttelte aus dem Schreiben heraus
lebhaft den Kopf, und die Wirtin verbesserte sich, »also nur sein Amtssitz,
nicht seine Amtswirksamkeit ist auf das Dorf eingeschränkt. Herr Momus
besorgt die im Dorfe nötig werdenden schriftlichen Arbeiten Klamms und
empfängt alle aus dem Dorf stammenden Ansuchen an Klamm als erster.« Als
K., noch wenig ergriffen von diesen Dingen, die Wirtin mit leeren Augen
ansah, fügte sie, halb verlegen, hinzu: »So ist es eingerichtet, alle Herren aus
dem Schloß haben ihre Dorfsekretäre.« Momus, der viel aufmerksamer als K.
zugehört hatte, sagte ergänzend zur Wirtin. »Die meisten Dorfsekretäre
arbeiten nur für einen Herrn, ich aber für zwei, für Klamm und für
Vallabene.« – »Ja«, sagte die Wirtin, sich nun ihrerseits auch erinnernd, und
wandte sich an K. »Herr Momus arbeitet für zwei Herren, für Klamm und für
Vallabene, ist also zweifacher Dorfsekretär.« – »Zweifacher gar«, sagte K.
und nickte Momus, der jetzt, fast vorgebeugt, voll zu ihm aufsah, zu, so wie
man einem Kind zunickt, das man eben hat loben hören. Lag darin eine
gewisse Verachtung, so wurde sie entweder nicht bemerkt oder geradezu
verlangt. Gerade vor K., der doch nicht einmal würdig genug war, um von
Klamm auch nur zufällig gesehen werden zu dürfen, wurden die Verdienste
eines Mannes aus der nächsten Umgebung Klamms ausführlich dargestellt
mit der unverhüllten Absicht, K.s Anerkennung und Lob herauszufordern.
Und doch hatte K. nicht den richtigen Sinn dafür; er, der sich mit allen
Kräften um einen Blick Klamms bemühte, schätzte zum Beispiel die Stellung
eines Momus, der unter Klamms Augen leben durfte, nicht hoch ein, fern war
ihm Bewunderung oder gar Neid, denn nicht Klamms Nähe an sich war ihm
das Erstrebenswerte, sondern daß er, K., nur er, kein anderer mit seinen, mit
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Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik