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Klamm etwas verbergen? -, die aber doch einen sympathischeren Charakter
erkennen ließe. Und ist es denn für das, was Sie Ihre Hoffnung nennen, nötig?
Haben Sie nicht selbst erklärt, daß Sie zufrieden sein würden, wenn Sie nur
Gelegenheit hätten, vor Klamm zu sprechen, auch wenn er Sie nicht ansehen
und Ihnen nicht zuhören würde? Und erreichen Sie durch dieses Protokoll
nicht zumindest dieses, vielleicht aber viel mehr?« »Viel mehr? – fragte K.
»Auf welche Weise?« – »Wenn Sie nur nicht immer«, rief die Wirtin, »wie
ein Kind alles gleich in eßbarer Form dargeboten haben wollten! Wer kann
denn Antwort auf solche Fragen geben? Das Protokoll kommt in die
Dorfregistratur Klamms, das haben Sie gehört, mehr kann darüber mit
Bestimmtheit nicht gesagt werden. Kennen Sie aber dann schon die ganze
Bedeutung des Protokolls, des Herrn Sekretärs, der Dorfregistratur? Wissen
Sie, was es bedeutet, wenn der Herr Sekretär Sie verhört? Vielleicht oder
wahrscheinlich weiß er es selbst nicht. Er sitzt ruhig hier und tut seine Pflicht,
der Ordnung halber, wie er sagte. Bedenken Sie aber, daß ihn Klamm ernannt
hat, daß er im Namen Klamms arbeitet, daß das, was er tut, wenn es auch
niemals bis zu Klamm gelangt, doch von vornherein Klamms Zustimmung
hat. Und wie kann etwas Klamms Zustimmung haben, was nicht von seinem
Geiste erfüllt ist? Fern sei es von mir, damit etwa in plumper Weise dem
Herrn Sekretär schmeicheln zu wollen, er würde es sich auch selbst sehr
verbitten, aber ich rede nicht von seiner selbständigen Persönlichkeit, sondern
davon, was er ist, wenn er Klamms Zustimmung hat, wie eben jetzt: Dann ist
er ein Werkzeug, auf dem die Hand Klamms liegt, und wehe jedem, der sich
ihm nicht fügt.«
Die Drohungen der Wirtin fürchtete K. nicht, der Hoffnungen, mit denen
sie ihn zu fangen suchte, war er müde. Klamm war fern. Einmal hatte die
Wirtin Klamm mit einem Adler verglichen, und das war K. lächerlich
erschienen, jetzt aber nicht mehr; er dachte an seine Ferne, an seine
uneinnehmbare Wohnung, an seine, nur vielleicht von Schreien, wie sie K.
noch nie gehört hatte, unterbrochene Stummheit, an seinen herabdringenden
Blick, der sich niemals nachweisen, niemals widerlegen ließ, an seine von K.s
Tiefe her unzerstörbaren Kreise, die er oben nach unverständlichen Gesetzen
zog, nur für Augenblicke sichtbar: das alles war Klamm und dem Adler
gemeinsam. Gewiß aber hatte damit dieses Protokoll nichts zu tun, über dem
jetzt gerade Momus eine Salzbrezel auseinanderbrach, die er sich zum Bier
schmecken ließ und mit der er alle Papiere mit Salz und Kümmel überstreute.
»Gute Nacht«, sagte K., »ich habe eine Abneigung gegen jedes Verhör«,
und er ging nun wirklich zur Tür. »Er geht also doch«, sagte Momus fast
ängstlich zur Wirtin. »Er wird es nicht wagen«, sagte diese, mehr hörte K.
nicht, er war schon im Flur. Es war kalt, und ein starker Wind wehte. Aus
einer Tür gegenüber kam der Wirt, er schien dort hinter einem Guckloch den
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Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik