Page - 99 - in Das Schloss
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nicht. »Es ist ein Mißverständnis«, wiederholte K., und die Müdigkeit des
Nachmittags kam wieder, der Weg ins Schulhaus schien ihm noch so weit,
und hinter Barnabas stand dessen ganze Familie auf, und die Gehilfen
drückten sich noch immer an ihn, so daß er sie mit dem Ellenbogen wegstieß;
wie hatte Frieda sie ihm entgegenschicken können, da er doch befohlen hatte,
sie sollten bei ihr bleiben. Den Nachhauseweg hätte er auch allein gefunden,
und leichter allein als in dieser Gesellschaft. Nun hatte überdies der eine ein
Tuch um den Hals geschlungen, dessen freie Enden im Wind flatterten und
einigemal gegen das Gesicht K.s geschlagen hatten, der andere Gehilfe hatte
allerdings immer gleich das Tuch von K.s Gesicht mit einem langen, spitzen,
immerfort spielenden Finger weggenommen, damit aber die Sache nicht
besser gemacht. Beide schienen sogar an dem Hin und Her Gefallen gefunden
zu haben, wie sie überhaupt der Wind und die Unruhe der Nacht begeisterte.
»Fort!« schrie K. »Wenn ihr mir schon entgegengekommen seid, warum habt
ihr nicht meinen Stock mitgebracht? Womit soll ich euch denn nach Hause
treiben?« Sie duckten sich hinter Barnabas, aber so verängstigt waren sie
nicht, daß sie nicht doch ihre Laternen rechts und links auf die Achseln ihres
Beschützers gestellt hätten, er schüttelte sie freilich gleich ab. »Barnabas«,
sagte K., und es legte sich ihm schwer aufs Herz, daß ihn Barnabas sichtlich
nicht verstand, daß in ruhigen Zeiten seine Jacke schön glänzte, wenn es aber
Ernst wurde, keine Hilfe, nur stummer Widerstand zu finden war, Widerstand,
gegen den man nicht ankämpfen konnte, denn er selbst war wehrlos, nur sein
Lächeln leuchtete, aber es half ebensowenig wie die Sterne oben gegen den
Sturmwind hier unten. »Sieh, was mir der Herr schreibt«, sagte K. und hielt
ihm den Brief vors Gesicht. »Der Herr ist falsch unterrichtet. Ich mache doch
keine Vermesserarbeit, und was die Gehilfen wert sind, siehst du selbst. Und
die Arbeit, die ich nicht mache, kann ich freilich auch nicht unterbrechen,
nicht einmal die Erbitterung des Herrn kann ich erregen, wie sollte ich seine
Anerkennung verdienen! Und getrost kann ich niemals sein.« – »Ich werde es
ausrichten«, sagte Barnabas, der die ganze Zeit über am Brief vorbeigelesen
hatte, den er allerdings auch gar nicht hätte lesen können, denn er hatte ihn
dicht vor dem Gesicht. »Ach«, sagte K., »du versprichst mir, daß du es
ausrichten wirst, aber kann ich dir denn wirklich glauben? So sehr brauche ich
einen vertrauenswürdigen Boten, jetzt mehr als jemals.« K. biß in die Lippen
vor Ungeduld. »Herr«, sagte Barnabas mit einer weichen Neigung des Halses
– fast hätte K. sich wieder von ihr verführen lassen, Barnabas zu glauben -,
»ich werde es gewiß ausrichten; auch was du mir letzthin aufgetragen hast,
werde ich gewiß ausrichten.« – »Wie!« rief K. »Hast du denn das noch nicht
ausgerichtet? Warst du denn nicht am nächsten Tag im Schloß?« – »Nein«,
sagte Barnabas. »Mein guter Vater ist alt, du hast ja gesehen, und es war
gerade viel Arbeit da, ich mußte ihm helfen, aber nun werde ich bald wieder
einmal ins Schloß gehen.« – »Aber was tust du denn, unbegreiflicher
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Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik