Page - 100 - in Das Schloss
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Mensch!« rief K. und schlug sich an die Stirn. »Gehen denn nicht Klamms
Sachen allen anderen vor? Du hast das hohe Amt eines Boten und verwaltest
es so schmählich? Wen kümmert die Arbeit deines Vaters? Klamm wartet auf
die Nachrichten, und du, statt im Lauf dich zu überschlagen, ziehst es vor, den
Mist aus dem Stall zu führen.« – »Mein Vater ist Schuster«, sagte Barnabas
unbeirrt«, er hatte Aufträge von Brunswick, und ich bin ja des Vaters
Geselle.« – »Schuster – Aufträge – Brunswick«, rief K. verbissen, als mache
er jedes der Worte für immer unbrauchbar. »Und wer braucht denn hier Stiefel
auf den ewig leeren Wegen? Und was kümmert mich diese ganze Schusterei;
eine Botschaft habe ich dir anvertraut, nicht damit du sie auf der Schusterbank
vergißt und verwirrst, sondern damit du sie gleich hinträgst zum Herrn.« Ein
wenig beruhigte sich hier K., als ihm einfiel, daß ja Klamm wahrscheinlich
die ganze Zeit über nicht im Schloß, sondern im Herrenhof gewesen war, aber
Barnabas reizte ihn wieder, als er K.s erste Nachricht, zum Beweis, daß er sie
gut behalten hatte, aufzusagen begann. »Genug, ich will nichts wissen«, sagte
K. »Sei mir nicht böse, Herr«, sagte Barnabas und, wie wenn er unbewußt K.
strafen wollte, entzog er ihm seinen Blick und senkte die Augen, aber es war
wohl Bestürzung wegen K.s Schreien. »Ich bin dir nicht böse«, sagte K., und
seine Unruhe wandte sich nun gegen ihn selbst. »Dir nicht, aber es ist sehr
schlimm für mich, nur einen solchen Boten zu haben für die wichtigsten
Dinge.«
»Sieh«, sagte Barnabas, und es schien, als sage er, um seine Botenehre zu
verteidigen, mehr, als er dürfte, »Klamm wartet doch nicht auf die
Nachrichten, er ist sogar ärgerlich, wenn ich komme. ›Wieder neue
Nachrichten‹ sagte er einmal, und meistens steht er auf, wenn er mich von der
Ferne kommen sieht, geht ins Nebenzimmer und empfängt mich nicht. Es ist
auch nicht bestimmt, daß ich gleich mit jeder Botschaft kommen soll, wäre es
bestimmt, käme ich natürlich gleich, aber es ist nichts darüber bestimmt, und
wenn ich niemals käme, würde ich nicht darum gemahnt werden. Wenn ich
eine Botschaft bringe, geschieht es freiwillig.«
»Gut«, sagte K., Barnabas beobachtend und geflissentlich wegsehend von
den Gehilfen, welche abwechselnd hinter Barnabas’ Schultern wie aus der
Versenkung langsam aufstiegen und schnell mit einem leichten, dem Winde
nachgemachten Pfeifen, als seien sie von K.s Anblick erschreckt, wieder
verschwanden, so vergnügten sie sich lange. »Wie es bei Klamm ist, weiß ich
nicht; daß du dort alles genau erkennen kannst, bezweifle ich, und selbst,
wenn du es könntest, wir könnten diese Dinge nicht bessern. Aber eine
Botschaft überbringen, das kannst du, und darum bitte ich dich. Eine ganz
kurze Botschaft. Kannst du sie gleich morgen überbringen und gleich morgen
mir die Antwort sagen oder wenigstens ausrichten, wie du aufgenommen
wurdest? Kannst du das und willst du das tun? Es wäre für mich sehr
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Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik