Page - 117 - in Das Schloss
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alles andere erschrocken, sah ihn Frieda an. Mit den unsicheren Händen
konnte K. das alte Schloß nicht gleich öffnen. »Ich öffne schon«, wiederholte
er immerfort, statt zu fragen, wer denn eigentlich klopfe. Und mußte dann
zusehen, wie durch die weitaufgerissene Tür nicht Barnabas hereinkam,
sondern der kleine Junge, der schon früher einmal hatte K. ansprechen
wollen. K. hatte aber keine Lust, sich an ihn zu erinnern. »Was willst du denn
hier?« sagte er. »Unterrichtet wird nebenan.« – »Ich komme von dort«, sagte
der Junge und sah mit seinen großen, braunen Augen ruhig zu K. auf, stand
aufrecht da, die Arme eng am Leib. »Was willst du also? Schnell!« sagte K.
und beugte sich ein wenig hinab, denn der Junge sprach leise. »Kann ich dir
helfen?« fragte der Junge. »Er will uns helfen«, sagte K. zu Frieda, und dann
zum Jungen: »Wie heißt du denn?« – »Hans Brunswick«, sagte der Junge,
»Schüler der vierten Klasse, Sohn des Otto Brunswick, Schustermeister in der
Madeleinegasse.« – »Sieh mal, Brunswick heißt du«, sagte K. und war nun
freundlicher zu ihm. Es stellte sich heraus, daß Hans durch die blutigen
Striemen, welche die Lehrerin in K.s Hand eingekratzt hatte, so erregt worden
war, daß er sich vorhin entschlossen hatte, K. beizustehen. Eigenmächtig war
er jetzt auf die Gefahr großer Strafe hin aus dem Schulzimmer nebenan wie
ein Deserteur weggeschlichen. Es mochten vor allem solche knabenhaften
Vorstellungen sein, die ihn beherrschten. Ihnen entsprechend war auch der
Ernst, der aus allem sprach, was er tat. Nur anfänglich hatte ihn
Schüchternheit behindert, bald aber gewöhnte er sich an K. und Frieda, und
als er dann heißen, guten Kaffee zu trinken bekommen hatte, war er lebhaft
und zutraulich geworden, und seine Fragen waren eifrig und eindringlich, so,
als wolle er möglichst schnell das Wichtigste erfahren, um dann selbständig
für K. und Frieda Entschlüsse fassen zu können. Es war auch etwas
Befehlshaberisches in seinem Wesen; aber es war mit kindlicher Unschuld so
gemischt, daß man sich ihm, halb aufrichtig, halb scherzend, gern unterwarf.
Jedenfalls nahm er alle Aufmerksamkeit für sich in Anspruch, alle Arbeit
hatte aufgehört, das Frühstück zog sich sehr in die Länge. Obwohl er in der
Schulbank saß, K. oben auf dem Kathedertisch, Frieda auf einem Sessel
nebenan, sah es aus, als sei Hans der Lehrer, als prüfe er und beurteile die
Antworten; ein leichtes Lächeln um seinen weichen Mund schien anzudeuten,
daß er wohl wisse, es handle sich nur um ein Spiel, aber desto ernsthafter war
er im übrigen bei der Sache, vielleicht war es auch gar kein Lächeln, sondern
das Glück der Kindheit, das die Lippen umspielte. Auffallend spät erst hatte
er zugegeben, daß er K. schon kannte, seit dieser einmal bei Lasemann
eingekehrt war. K. war glücklich darüber. »Du spieltest damals zu Füßen der
Frau?« fragte K. »Ja«, sagte Hans, »es war meine Mutter.« Und nun mußte er
von seiner Mutter erzählen, aber er tat es nur zögernd und erst auf wiederholte
Aufforderung, es zeigte sich nun doch, daß er ein kleiner Junge war, aus dem
zwar manchmal, besonders in seinen Fragen, vielleicht im Vorgefühl der
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Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik