Page - 134 - in Das Schloss
Image of the Page - 134 -
Text of the Page - 134 -
war nicht vorhanden; ein Schuldiener ist für die Lehrerschaft, und gar für
einen Lehrer von Schwarzers Art, eine sehr wichtige Person, die man nicht
ungestraft mißachten darf und der man die Mißachtung, wenn man aus
Standesinteressen auf sie nicht verzichten kann, zumindest mit entsprechender
Gegengabe erträglich machen muß. K. wollte bei Gelegenheit daran denken,
auch war Schwarzer bei ihm noch vom ersten Abend her in Schuld, die
dadurch nicht kleiner geworden war, daß die nächsten Tage dem Empfang
Schwarzers eigentlich recht gegeben hatten. Denn es war dabei nicht zu
vergessen, daß der Empfang vielleicht allem Folgenden die Richtung gegeben
hatte. Durch Schwarzer war ganz unsinnigerweise gleich in der ersten Stunde
die volle Aufmerksamkeit der Behörden auf K. gelenkt worden, als er, noch
völlig fremd im Dorf, ohne Bekannte, ohne Zuflucht, übermüdet vom Marsch,
ganz hilflos, wie er dort auf dem Strohsack lag, jedem behördlichen Zugriff
ausgeliefert war. Nur eine Nacht später hätte schon alles anders, ruhig, halb
im Verborgenen verlaufen können, jedenfalls hätte niemand etwas von ihm
gewußt, keinen Verdacht gehabt, zumindest nicht gezögert, ihn als
Wanderburschen einen Tag bei sich zu lassen; man hätte seine Brauchbarkeit
und Zuverlässigkeit gesehen, es hätte sich in der Nachbarschaft
herumgesprochen, wahrscheinlich hätte er bald als Knecht irgendwo ein
Unterkommen gefunden. Natürlich, der Behörde wäre es nicht entgangen.
Aber es war ein wesentlicher Unterschied, ob mitten in der Nacht
seinetwegen die Zentralkanzlei oder wer sonst beim Telefon gewesen war,
aufgerüttelt wurde, eine augenblickliche Entscheidung eingefordert wurde, in
scheinbarer Demut, aber doch mit lästiger Unerbittlichkeit eingefordert
wurde, überdies von dem oben wahrscheinlich mißliebigen Schwarzer, oder
ob statt alles dessen K. am nächsten Tag in den Amtsstunden beim
Gemeindevorsteher anklopfte und, wie es sich gehörte, sich als fremder
Wanderbursch meldete, der bei einem bestimmten Gemeindemitglied schon
eine Schlafstelle hat und wahrscheinlich morgen wieder weiterziehen wird; es
wäre denn, daß der ganz unwahrscheinliche Fall eintritt und er hier Arbeit
findet, nur für ein paar Tage natürlich, denn länger will er keinesfalls bleiben.
So oder ähnlich wäre es ohne Schwarzer geworden. Die Behörde hätte sich
auch weiter mit der Angelegenheit beschäftigt, aber ruhig, im Amtswege,
ungestört von der ihr wahrscheinlich besonders verhaßten Ungeduld der
Partei. Nun war ja K. an dem allen unschuldig, die Schuld traf Schwarzer,
aber Schwarzer war der Sohn eines Kastellans, und äußerlich hatte er sich ja
korrekt verhalten, man konnte es also nur K. vergelten lassen. Und der
lächerliche Anlaß alles dessen? Vielleicht eine ungnädige Laune Gisas an
jenem Tag, wegen der Schwarzer schlaflos in der Nacht herumgestrichen war,
um sich dann an K. für sein Leid zu entschädigen. Man konnte freilich von
anderer Seite her auch sagen, daß K. diesem Verhalten Schwarzers sehr viel
verdanke. Nur dadurch war etwas möglich geworden, was K. allein niemals
134
back to the
book Das Schloss"
Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik