Page - 144 - in Das Schloss
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Kopfes oder auch nur die aufgeknöpfte Weste -, daß man sie unmöglich ernst
nehmen kann. Noch wichtiger scheint mir die Art, wie Klamm mit Barnabas
verkehrt. Barnabas hat es mir oft beschrieben, sogar gezeichnet. Gewöhnlich
wird Barnabas in ein großes Kanzleizimmer geführt, aber es ist nicht Klamms
Kanzlei, überhaupt nicht die Kanzlei eines einzelnen. Der Länge nach ist
dieses Zimmer durch ein einziges, von Seitenwand zu Seitenwand reichendes
Stehpult in zwei Teile geteilt, einen schmalen, wo einander zwei Personen nur
knapp ausweichen können, das ist der Raum der Beamten, und einen breiten,
das ist der Raum der Parteien, der Zuschauer, der Diener, der Boten. Auf dem
Pult liegen aufgeschlagen große Bücher, eines neben dem anderen, und bei
den meisten stehen Beamte und lesen darin. Doch bleiben sie nicht immer
beim gleichen Buch, tauschen aber nicht die Bücher, sondern die Plätze, am
erstaunlichsten ist es Barnabas, wie sie sich bei solchem Plätzewechsel
aneinander vorbeidrücken müssen, eben wegen der Enge des Raumes. Vorn,
eng am Stehpult, sind niedrige Tischchen, an denen Schreiber sitzen, welche,
wenn die Beamten es wünschen, nach ihrem Diktat schreiben. Immer wundert
sich Barnabas, wie das geschieht. Es erfolgt kein ausdrücklicher Befehl des
Beamten, auch wird nicht laut diktiert, man merkt kaum, daß diktiert wird,
vielmehr scheint der Beamte zu lesen wie früher, nur daß er dabei auch noch
flüstert, und der Schreiber hört’s. Oft diktiert der Beamte so leise, daß der
Schreiber es sitzend gar nicht hören kann, dann muß er immer aufspringen,
das Diktierte auffangen, schnell sich setzen und es aufschreiben, dann wieder
aufspringen und so fort. Wie merkwürdig das ist! Es ist fast unverständlich.
Barnabas freilich hat genug Zeit, das alles zu beobachten, denn dort in dem
Zuschauerraum steht er stunden- und manchmal tagelang, ehe Klamms Blick
auf ihn fällt. Und auch wenn ihn Klamm schon gesehen hat und Barnabas sich
in Habachtstellung aufrichtet, ist noch nichts entschieden, denn Klamm kann
sich wieder von ihm dem Buch zuwenden und ihn vergessen; so geschieht es
oft. Was ist es aber für ein Botendienst, der so unwichtig ist? Mir wird
wehmütig, wenn Barnabas früh sagt, daß er ins Schloß geht. Dieser
wahrscheinlich ganz unnütze Weg, dieser wahrscheinlich verlorene Tag, diese
wahrscheinlich vergebliche Hoffnung. Was soll das alles? Und hier ist
Schusterarbeit aufgehäuft, die niemand macht und auf deren Ausführung
Brunswick drängt.« »Nun gut«, sagte K. »Barnabas muß lange warten, ehe er
einen Auftrag bekommt. Das ist verständlich, es scheint ja hier ein Übermaß
von Angestellten zu sein, nicht jeder kann jeden Tag einen Auftrag
bekommen, darüber müßt ihr nicht klagen, das trifft wohl jeden. Schließlich
aber bekommt doch wohl auch Barnabas Aufträge, mir selbst hat er schon
zwei Briefe gebracht.« »Es ist ja möglich«, sagte Olga, »daß wir unrecht
haben zu klagen, besonders ich, die alles nur vom Hörensagen kennt und es
als Mädchen auch nicht so gut verstehen kann wie Barnabas, der ja auch noch
manches zurückhält. Aber nun höre, wie es sich mit den Briefen verhält, mit
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Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik