Page - 148 - in Das Schloss
Image of the Page - 148 -
Text of the Page - 148 -
erlitten, die beide nur auf seinen Worten, also fast gar nicht, begründet
waren.« Olga schwieg. »Es wird mir nicht leicht«, sagte K., »dich in dem
Vertrauen zu deinem Bruder zu beirren, da ich doch sehe, wie du ihn liebst
und was du von ihm erwartest. Es muß aber geschehen, und nicht zum
wenigsten deiner Liebe und deiner Erwartungen wegen. Denn sieh, immer
wieder hindert dich etwas – ich weiß nicht, was es ist -, voll zu erkennen, was
Barnabas nicht etwa erreicht hat, aber was ihm geschenkt worden ist. Er darf
in die Kanzleien oder, wenn du es so willst, in einen Vorraum; nun, dann ist’s
also ein Vorraum, aber es sind Türen da, die weiterführen, Barrieren, die man
durchschreiten kann, wenn man das Geschick dazu hat. Mir zum Beispiel ist
dieser Vorraum, wenigstens vorläufig, völlig unzugänglich. Mit wem
Barnabas dort spricht, weiß ich nicht, vielleicht ist jener Schreiber der
niedrigste Diener, aber auch wenn er der niedrigste ist, kann er zu dem
nächsthöheren führen, und wenn er nicht zu ihm führen kann, so kann er ihn
doch wenigstens nennen, und wenn er ihn nicht nennen kann, so kann er doch
auf jemanden verweisen, der ihn wird nennen können. Der angebliche Klamm
mag mit dem wirklichen nicht das geringste gemeinsam haben, die
Ähnlichkeit mag nur für die vor Aufregung blinden Augen des Barnabas
bestehen, er mag der niedrigste der Beamten, er mag noch nicht einmal
Beamter sein, aber irgendeine Aufgabe hat er doch bei jenem Pult, irgend
etwas liest er in seinem großen Buch, irgend etwas flüstert er dem Schreiber
zu, irgend etwas denkt er, wenn einmal in langer Zeit sein Blick auf Barnabas
fällt, und selbst wenn das alles nicht wahr ist und er und seine Handlungen
gar nichts bedeuten, so hat ihn doch jemand dort hingestellt und hat dies mit
irgendeiner Absicht getan. Mit dem allem will ich sagen, daß irgend etwas da
ist, irgend etwas dem Barnabas angeboten wird, wenigstens irgend etwas, und
daß es nur die Schuld des Barnabas ist, wenn er damit nichts anderes
erreichen kann als Zweifel, Angst und Hoffnungslosigkeit. Und dabei bin ich
ja immer noch von dem ungünstigsten Fall ausgegangen, der sogar sehr
unwahrscheinlich ist. Denn wir haben ja die Briefe in der Hand, denen ich
zwar nicht viel traue, aber viel mehr als des Barnabas Worten. Mögen es auch
alte, wertlose Briefe sein, die wahllos aus einem Haufen genauso wertloser
Briefe hervorgezogen wurden, wahllos und mit nicht mehr Verstand, als die
Kanarienvögel auf den Jahrmärkten aufwenden, um das Lebenslos eines
Beliebigen aus einem Haufen herauszupicken, und mag das so sein, so haben
diese Briefe doch wenigstens irgendeinen Bezug auf meine Arbeit; sichtlich
sind sie für mich, wenn auch vielleicht nicht für meinen Nutzen bestimmt;
sind, wie der Gemeindevorsteher und seine Frau bezeugt haben, von Klamm
eigenhändig gefertigt und haben, wiederum nach dem Gemeindevorsteher,
zwar nur eine private und wenig durchsichtige, aber doch eine große
Bedeutung.« – »Sagte das der Gemeindevorsteher?« fragte Olga. »Ja, das
sagte er«, antwortete K. »Ich werde es Barnabas erzählen«, sagte Olga
148
back to the
book Das Schloss"
Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik