Page - 149 - in Das Schloss
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schnell, »das wird ihn sehr aufmuntern.« – »Er braucht aber nicht
Aufmunterung«, sagte K., »ihn aufmuntern bedeutet, ihm zu sagen, daß er
recht hat, daß er nur in seiner bisherigen Art fortfahren soll, aber eben auf
diese Art wird er niemals etwas erreichen. Du kannst jemanden, der die
Augen verbunden hat, noch so sehr aufmuntern, durch das Tuch zu starren, er
wird doch niemals etwas sehen; erst wenn man ihm das Tuch abnimmt, kann
er sehen. Hilfe braucht Barnabas, nicht Aufmunterung. Bedenke doch nur:
dort oben ist die Behörde in ihrer unentwirrbaren Größe – ich glaubte,
annähernde Vorstellungen von ihr zu haben, ehe ich hierher kam, wie kindlich
war das alles -, dort also ist die Behörde und ihr tritt Barnabas entgegen,
niemand sonst, nur er, erbarmungswürdig allein, zuviel Ehre noch für ihn,
wenn er nicht sein ganzes Leben lang verschollen in einen dunklen Winkel
der Kanzleien geduckt bleibt.« – »Glaube nicht, K.«, sagte Olga, »daß wir die
Schwere der Aufgabe, die Barnabas übernommen hat, unterschätzen. An
Ehrfurcht vor der Behörde fehlt es uns ja nicht, das hast du selbst gesagt.« –
»Aber es ist irregeleitete Ehrfurcht«, sagte K. »Ehrfurcht am unrechten Ort,
solche Ehrfurcht entwürdigt ihren Gegenstand. Ist es noch Ehrfurcht zu
nennen, wenn Barnabas das Geschenk des Eintritts in jenen Raum dazu
mißbraucht, um untätig dort die Tage zu verbringen, oder wenn er
herabkommt und diejenigen, vor denen er eben gezittert hat, verdächtigt und
verkleinert oder wenn er aus Verzweiflung oder Müdigkeit Briefe nicht gleich
austrägt und ihm anvertraute Botschaften nicht gleich ausrichtet? Das ist doch
wohl keine Ehrfurcht mehr. Aber der Vorwurf geht noch weiter, geht auch
gegen dich, Olga; ich kann dir ihn nicht ersparen. Du hast Barnabas, obwohl
du Ehrfurcht vor der Behörde zu haben glaubst, in aller seiner Jugend und
Schwäche und Verlassenheit ins Schloß geschickt oder wenigstens nicht
zurückgehalten.«
»Den Vorwurf, den du mir machst«, sagte Olga, »mache ich mir auch, seit
jeher schon. Allerdings nicht, daß ich Barnabas ins Schloß geschickt habe, ist
mir vorzuwerfen, ich habe ihn nicht geschickt, er ist selbst gegangen, aber ich
hätte ihn wohl mit allen Mitteln, mit Gewalt, mit List, mit Überredung,
zurückhalten sollen. Ich hätte ihn zurückhalten sollen, aber wenn heute jener
Tag, jener Entscheidungstag wäre und ich die Not des Barnabas, die Not
unserer Familie so fühlte wie damals und heute und wenn Barnabas wieder,
aller Verantwortung und Gefahr deutlich sich bewußt, lächelnd und sanft sich
von mir losmachte, um zu gehen, ich würde ihn auch heute nicht
zurückhalten, trotz allen Erfahrungen der Zwischenzeit und, ich glaube, auch
du an meiner Stelle könntest nicht anders. Du kennst nicht unsere Not,
deshalb tust du uns, vor allem aber Barnabas, unrecht. Wir hatten damals
mehr Hoffnung als heute, aber groß war unsere Hoffnung auch damals nicht,
groß war nur unsere Not und ist es geblieben. Hat dir denn Frieda nichts über
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Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik