Page - 152 - in Das Schloss
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rheumatischen Arme nicht bewegen konnte, und sprach dabei dem Vater zu,
er möge sich wegen des Essens noch ein wenig gedulden, gleich werde sie
auch zu ihm kommen, um ihn zu füttern. Doch hatte sie mit ihrer Mahnung
keinen Erfolg, denn der Vater, sehr gierig, schon zu seiner Suppe zu kommen,
überwand seine Körperschwäche und suchte, die Suppe bald vom Löffel zu
schlürfen, bald gleich vom Teller aufzutrinken, und brummte böse, als ihm
weder das eine noch das andere gelang, der Löffel längst leer war, ehe er zum
Munde kam, und niemals der Mund, nur immer der herabhängende
Schnauzbart in die Suppe tauchte und es nach allen Seiten, nur in seinen
Mund nicht, tropfte und sprühte. »Das haben drei Jahre aus ihm gemacht?«
fragte K., aber noch immer hatte er für die Alten und für die ganze Ecke des
Familientisches dort kein Mitleid, nur Widerwillen. »Drei Jahre«, sagte Olga
langsam, »oder, genauer, ein paar Stunden eines Festes. Das Fest war auf
einer Wiese vor dem Dorf am Bach, es war schon ein großes Gedränge, als
wir ankamen, auch aus den Nachbardörfern war viel Volk gekommen, man
war ganz verwirrt von dem Lärm. Zuerst wurden wir natürlich vom Vater zur
Feuerspritze geführt, er lachte vor Freude, als er sie sah, eine neue Spritze
machte ihn glücklich, er fing an, sie zu betasten und uns zu erklären, er
duldete keinen Widerspruch und keine Zurückhaltung der anderen; war etwas
unter der Spritze zu besichtigen, mußten wir uns alle bücken und fast unter
die Spritze kriechen; Barnabas, der sich damals wehrte, bekam deshalb
Prügel. Nur Amalia kümmerte sich um die Spritze nicht, stand aufrecht dabei
in ihrem schönen Kleid, und niemand wagte, ihr etwas zu sagen, ich lief
manchmal zu ihr und faßte ihren Arm unter, aber sie schwieg. Ich kann es mir
noch heute nicht erklären, wie es kam, daß wir so lange vor der Spritze
standen und erst, als sich der Vater von ihr losmachte, Sortini bemerkten, der
offenbar schon die ganze Zeit über hinter der Spritze an einem Spritzenhebel
gelehnt hatte. Es war freilich ein entsetzlicher Lärm damals, nicht nur wie es
sonst bei Festen ist. Das Schloß hatte nämlich der Feuerwehr auch noch
einige Trompeten geschenkt, besondere Instrumente, auf denen man mit der
kleinsten Kraftanstrengung, ein Kind konnte das, die wildesten Töne
hervorbringen konnte; wenn man das hörte, glaubte man, die Türken seien
schon da, und man konnte sich nicht daran gewöhnen, bei jedem neuen
Blasen fuhr man wieder zusammen. Und weil es neue Trompeten waren,
wollte sie jeder versuchen, und weil es doch ein Volksfest war, erlaubte man
es. Gerade um uns, vielleicht hatte sie Amalia angelockt, waren einige solcher
Bläser; es war schwer, die Sinne dabei zusammenzuhalten, und wenn man
nun auch noch, nach dem Gebot des Vaters, Aufmerksamkeit für die Spritze
haben sollte, so war das das Äußerste, was man leisten konnte, und so entging
uns Sortini, den wir ja vorher auch gar nicht gekannt hatten, so ungewöhnlich
lange. ›Dort ist Sortini‹, flüsterte endlich – ich stand dabei – Lasemann dem
Vater zu. Der Vater verbeugte sich tief und gab auch uns aufgeregt ein
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Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik