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einem Nichts alles, was man nur will, zu machen verstehen, aber in diesem
Fall war nicht einmal das günstige Nichts vorhanden; im Gegenteil, es war
noch die Entwürdigung des Sortinischen Briefes da und die Beleidigung des
Boten.« – »Aber was für ein Verhängnis denn«, sagte K., »was für
Advokaten; man konnte doch wegen der verbrecherischen Handlungsweise
Sortinis nicht Amalia anklagen oder gar bestrafen?« – »Doch«, sagte Olga,
»das konnte man; freilich nicht nach einem regelrechten Prozeß, und man
bestrafte sie auch nicht unmittelbar, wohl aber bestrafte man sie auf andere
Weise, sie und unsere ganze Familie, und wie schwer diese Strafe ist, das
fängst du wohl an zu erkennen. Dir scheint das ungerecht und ungeheuerlich,
das ist eine im Dorf völlig vereinzelte Meinung, sie ist uns sehr günstig und
sollte uns trösten, und so wäre es auch, wenn sie nicht sichtlich auf Irrtümer
zurückginge. Ich kann dir das leicht beweisen, verzeih, wenn ich dabei von
Frieda spreche, aber zwischen Frieda und Klamm ist – abgesehen davon, wie
es sich schließlich gestaltet hat – etwas ganz Ähnliches vorgegangen wie
zwischen Amalia und Sortini, und doch findest du das, wenn du auch anfangs
erschrocken sein magst, jetzt schon richtig. Und das ist nicht Gewöhnung, so
abstumpfen kann man durch Gewöhnung nicht, wenn es sich um einfache
Beurteilung handelt, das ist bloß Ablegen von Irrtümern.« – »Nein, Olga«,
sagte K., »ich weiß nicht, warum du Frieda in die Sache hineinziehst, der Fall
wäre doch gänzlich anders, misch nicht so Grundverschiedenes durcheinander
und erzähle weiter.« – »Bitte«, sagte Olga, »nimm es mir nicht übel, wenn ich
auf dem Vergleich bestehe, es ist ein Rest von Irrtümern, auch hinsichtlich
Friedas noch, wenn du sie gegen einen Vergleich verteidigen zu müssen
glaubst. Sie ist gar nicht zu verteidigen, sondern nur zu loben. Wenn ich die
Fälle vergleiche, so sage ich ja nicht, daß sie gleich sind; sie verhalten sich
zueinander wie Weiß und Schwarz, und Weiß ist Frieda. Schlimmstenfalls
kann man über Frieda lachen, wie ich es unartigerweise – ich habe es später
sehr bereut – im Ausschank getan habe, aber selbst wer hier lacht, ist schon
boshaft oder neidisch, immerhin, man kann lachen.
Amalia aber kann man, wenn man nicht durch Blut mit ihr verbunden ist,
nur verachten. Deshalb sind es zwar grundverschiedene Fälle, wie du sagst,
aber doch auch ähnliche.« – »Sie sind auch nicht ähnlich«, sagte K. und
schüttelte unwillig den Kopf, »laß Frieda beiseite, Frieda hat keinen solchen
sauberen Brief wie Amalia von Sortini bekommen, und Frieda hat Klamm
wirklich geliebt, und wer es bezweifelt, kann sie fragen, sie liebt ihn noch
heute.« – »Sind das aber große Unterschiede?« fragte Olga. »Glaubst du,
Klamm hätte Frieda nicht ebenso schreiben können? Wenn die Herren vom
Schreibtisch aufstehen, sind sie so, sie finden sich in der Welt nicht zurecht,
sie sagen dann in der Zerstreutheit das Allergröbste, nicht alle, aber viele. Der
Brief an Amalia kann ja in Gedanken, in völliger Nichtachtung des wirklich
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Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik