Page - 160 - in Das Schloss
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mit dem Blick zu streifen; wir waren gewiß zu hochmütig, aber wir waren so
erzogen worden. An dem Abend im Herrenhof magst du aber den jetzigen
Stand erkannt haben: Frieda mit der Peitsche in der Hand und ich in dem
Haufen der Knechte. Aber es ist ja noch schlimmer. Frieda mag uns
verachten, es entspricht ihrer Stellung, die tatsächlichen Verhältnisse
erzwingen es. Aber wer verachtet uns nicht alles! Wer sich entschließt, uns zu
verachten, kommt gleich in die allergrößte Gesellschaft. Kennst du die
Nachfolgerin Friedas? Pepi heißt sie. Ich habe sie erst vorgestern abend
kennengelernt; bisher war sie Zimmermädchen. Sie übertrifft gewiß Frieda an
Verachtung für mich. Sie sah mich aus dem Fenster, wie ich Bier holen kam,
lief zur Tür und versperrte sie, ich mußte lange bitten und ihr das Band
versprechen, das ich im Haare trug, ehe sie mir aufmachte. Als ich es ihr aber
dann gab, warf sie es in den Winkel. Nun, sie mag mich verachten, zum Teil
bin ich ja auf ihr Wohlwollen angewiesen, und sie ist Ausschankmädchen im
Herrenhof; freilich, sie ist es nur vorläufig und hat gewiß nicht die
Eigenschaften, die nötig sind, um dort dauernd angestellt zu werden. Man
mag nur zuhören, wie der Wirt mit Pepi spricht, und mag es damit
vergleichen, wie er mit Frieda sprach. Aber das hindert Pepi nicht, auch
Amalia zu verachten, Amalia, deren Blick allein genügen würde, die ganze
kleine Pepi mit allen ihren Zöpfen und Maschen so schnell aus dem Zimmer
zu schaffen, wie sie es, nur auf ihre eigenen dicken Beinchen angewiesen,
niemals zustande brächte. Was für ein empörendes Geschwätz mußte ich
gestern wieder von ihr über Amalia anhören, bis sich dann schließlich die
Gäste meiner annahmen, in der Art freilich, wie du es schon einmal gesehen
hast.« – »Wie verängstigt du bist«, sagte K., »ich habe ja nur Frieda auf den
ihr gebührenden Platz gestellt, aber nicht euch herabsetzen wollen, wie du es
jetzt auffaßt. Irgend etwas Besonderes hat euere Familie auch für mich, das
habe ich nicht verschwiegen; wie dieses Besondere aber Anlaß zur
Verachtung geben könnte, das verstehe ich nicht.« – »Ach, K.«, sagte Olga,
»auch du wirst es noch verstehen, fürchte ich; daß Amalias Verhalten
gegenüber Sortini der erste Anlaß dieser Verachtung war, kannst du das auf
keine Weise verstehen?« – »Das wäre doch zu sonderbar«, sagte K.,
»bewundern oder verurteilen könnte man Amalia deshalb, aber verachten?
Und wenn man, aus mir unverständlichem Gefühl, wirklich Amalia verachtet,
warum dehnt man die Verachtung auf euch aus, auf die unschuldige Familie?
Daß zum Beispiel Pepi dich verachtet, ist ein starkes Stück, und ich will,
wenn ich wieder einmal in den Herrenhof komme, es ihr heimzahlen.« –
»Wolltest du, K.«, sagte Olga, »alle unsere Verräter umstimmen, das wäre
eine harte Arbeit, denn alles geht vom Schloß aus. Ich erinnere mich noch
genau an den Vormittag, der jenem Morgen folgte. Brunswick, der damals
unser Gehilfe war, war gekommen wie jeden Tag, der Vater hatte ihm Arbeit
zugeteilt und ihn nach Hause geschickt, wir saßen dann beim Frühstück, alle,
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Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik