Page - 164 - in Das Schloss
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man fürchtete für seinen Alltagsverstand, weil sein ganzer Verstand oben im
Schloß war. Schließlich aber stellte es sich heraus, daß er nicht eigentlich das
Schloß, sondern nur die Tochter einer Aufwaschfrau in den Kanzleien
gemeint hatte, die bekam er nun allerdings und dann war alles wieder gut.«
»Der Mann würde mir gefallen, glaube ich«, sagte K. »Daß dir der Mann
gefallen würde«, sagte Amalia, »bezweifle ich, aber vielleicht seine Frau.
Nun laßt euch aber nicht stören, ich gehe allerdings schlafen, und auslöschen
werde ich müssen, der Eltern wegen; sie schlafen zwar gleich fest ein, aber
nach einer Stunde ist schon der eigentliche Schlaf zu Ende, und dann stört sie
der kleinste Schein. Gute Nacht.« Und wirklich wurde es gleich finster.
Amalia machte sich wohl irgendwo auf der Erde beim Bett der Eltern ihr
Lager zurecht. »Wer ist denn dieser junge Mann, von dem sie sprach?« fragte
K. »Ich weiß nicht«, sagte Olga. »Vielleicht Brunswick, obwohl es für ihn
nicht ganz paßt, vielleicht aber auch ein anderer. Es ist nicht leicht, sie genau
zu verstehen, weil man oft nicht weiß, ob sie ironisch oder ernst spricht.
Meistens ist es ja ernst, aber es klingt ironisch.« – »Laß die Deutungen!«
sagte K. »Wie kamst du denn in diese große Abhängigkeit von ihr? War es
schon vor dem großen Unglück so? Oder erst nachher? Und hast du niemals
den Wunsch, von ihr unabhängig zu werden? Und ist denn diese
Abhängigkeit irgendwie vernünftig begründet? Sie ist die Jüngste und hat als
solche zu gehorchen. Sie hat, schuldig oder unschuldig, das Unglück über die
Familie gebracht. Statt dafür jeden neuen Tag jeden von euch von neuem um
Verzeihung zu bitten, trägt sie den Kopf höher als alle, kümmert sich um
nichts als knapp gnadenweise um die Eltern, will in nichts eingeweiht werden,
wie sie sich ausdrückt, und wenn sie endlich einmal mit euch spricht, dann ist
es meistens ernst, aber es klingt ironisch. Oder herrscht sie etwa durch ihre
Schönheit, die du manchmal erwähnst? Nun, ihr seid euch alle drei sehr
ähnlich, das aber, wodurch sie sich von euch zweien unterscheidet, ist
durchaus zu ihren Ungunsten, schon als ich sie zum erstenmal sah, schreckte
mich ihr stumpfer, liebloser Blick ab. Und dann ist sie zwar die Jüngste, aber
davon merkt man nichts in ihrem Äußeren, sie hat das alterlose Aussehen der
Frauen, die kaum altern, die aber auch kaum jemals eigentlich jung gewesen
sind. Du siehst sie jeden Tag, du merkst gar nicht die Härte ihres Gesichtes.
Darum kann ich auch Sortinis Neigung, wenn ich es überlege, nicht einmal
sehr ernst nehmen, vielleicht wollte er sie mit dem Brief nur strafen, aber
nicht rufen.« – »Von Sortini will ich nicht reden«, sagte Olga. »Bei den
Herren im Schloß ist alles möglich, ob es nun um das schönste oder um das
häßlichste Mädchen geht. Sonst aber irrst du hinsichtlich Amalias
vollkommen. Sieh, ich habe doch keinen Anlaß, dich für Amalia besonders zu
gewinnen, und versuche ich es dennoch, tue ich es nur deinetwegen. Amalia
war irgendwie die Ursache unseres Unglücks, das ist gewiß, aber selbst der
Vater, der doch am schwersten von dem Unglück getroffen war und sich in
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Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik