Page - 169 - in Das Schloss
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Gewiß, er war verarmt, hatte die Kundschaft verloren und so fort, aber das
waren Erscheinungen des täglichen Lebens, Handwerks- und
Marktangelegenheiten, sollte sich denn das Schloß um alles kümmern? Es
kümmert sich ja in Wirklichkeit um alles, aber es konnte doch nicht grob
eingreifen in die Entwicklung, einfach und zu keinem anderen Zweck, als
dem Interesse eines einzelnen Mannes zu dienen. Sollte es etwa seine
Beamten ausschicken, und sollten diese den Kunden des Vaters nachlaufen
und sie ihm mit Gewalt zurückbringen? Aber, wendete der Vater dann ein –
wir besprachen diese Dinge alle genau zu Hause vorher und nachher in einen
Winkel gedrückt, wie versteckt vor Amalia, die alles zwar merkte, aber es
geschehen ließ -, aber, wendete der Vater dann ein, er beklage sich ja nicht
wegen der Verarmung, alles, was er hier verloren habe, wolle er leicht wieder
einholen, das alles sei nebensächlich, wenn ihm nur verziehen würde. ›Aber
was solle ihm denn verziehen werden?‹ antwortete man ihm, eine Anzeige sei
bisher nicht eingelaufen, wenigstens stehe sie noch nicht in den Protokollen,
zumindest nicht in den der advokatorischen Öffentlichkeit zugänglichen
Protokollen; infolgedessen sei auch, soweit es sich feststellen lasse, weder
etwas gegen ihn unternommen worden noch sei etwas im Zuge. Könne er
vielleicht eine amtliche Verfügung nennen, die gegen ihn erlassen worden sei?
Das konnte der Vater nicht. Oder habe ein Eingriff eines amtlichen Organs
stattgefunden? Davon wußte der Vater nichts. Nun also, wenn er nichts wisse
und wenn nichts geschehen sei, was wolle er denn? Was könnte ihm
verziehen werden? Höchstens, daß er jetzt zwecklos die Ämter belästige, aber
gerade dieses sei unverzeihlich. Der Vater ließ nicht ab, er war damals noch
immer sehr kräftig, und der aufgezwungene Müßiggang gab ihm reichlich
Zeit. ›Ich werde Amalia die Ehre zurückgewinnen, es wird nicht mehr lange
dauern‹, sagte er zu Barnabas und mir einigemal während des Tages, aber nur
sehr leise, denn Amalia durfte es nicht hören; trotzdem war es nur Amalias
wegen gesagt, denn in Wirklichkeit dachte er gar nicht an das
Zurückgewinnen der Ehre, sondern nur an Verzeihung. Aber um Verzeihung
zu bekommen, mußte er erst die Schuld feststellen; und die wurde ihm ja in
den Ämtern abgeleugnet. Er verfiel auf den Gedanken – und dies zeigte, daß
er doch schon geistig geschwächt war -, man verheimliche ihm die Schuld,
weil er nicht genug zahle, er zahlte bisher nämlich immer nur die
festgesetzten Gebühren, die, wenigstens für unsere Verhältnisse, hoch genug
waren. Er glaubte aber jetzt, er müsse mehr zahlen, was gewiß unrichtig war,
denn bei unseren Ämtern nimmt man zwar der Einfachheit halber, um
unnötige Rede zu vermeiden, Bestechungen an, aber erreichen kann man
dadurch nichts. War es aber die Hoffnung des Vaters, wollten wir ihn darin
nicht stören. Wir verkauften, was wir noch hatten – es war fast nur noch
Unentbehrliches -, um dem Vater die Mittel für seine Nachforschungen zu
verschaffen, und lange Zeit hatten wir jeden Morgen die Genugtuung, daß der
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Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik