Page - 170 - in Das Schloss
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Vater, wenn er sich morgens auf den Weg machte, immer wenigstens mit
einigen Münzen in der Tasche klimpern konnte. Wir freilich hungerten den
Tag über, während das einzige, was wir wirklich durch die Geldbeschaffung
bewirkten, war, daß der Vater in einer gewissen Hoffnungsfreudigkeit erhalten
wurde. Dieses aber war kaum ein Vorteil. Er plagte sich bald auf seinen
Gängen, und was ohne das Geld sehr bald das verdiente Ende genommen
hätte, zog sich so in die Länge. Da man für die Überzahlungen in Wirklichkeit
nichts Außerordentliches leisten konnte, versuchte manchmal ein Schreiber
wenigstens scheinbar, etwas zu leisten, versprach Nachforschungen, deutete
an, daß man gewisse Spuren schon gefunden hätte, die man nicht aus Pflicht,
sondern nur dem Vater zuliebe verfolgen werde; der Vater, statt zweifelnder
zu werden, wurde immer gläubiger. Er kam mit einer solchen, deutlich
sinnlosen Versprechung zurück, so, als bringe er schon wieder den vollen
Segen ins Haus, und es war qualvoll anzusehen, wie er immer hinter Amalias
Rücken, mit verzerrtem Lächeln und groß aufgerissenen Augen auf Amalia
hindeutend, uns zu verstehen geben wollte, wie die Errettung Amalias, die
niemanden mehr als sie selbst überraschen werde, infolge seiner Bemühungen
ganz nahe bevorstehe, aber alles sei noch Geheimnis, und wir wollten es
streng hüten. So wäre es gewiß noch sehr lange weitergegangen, wenn wir
schließlich nicht vollständig außerstande gewesen wären, dem Vater das Geld
noch zu liefern. Zwar war inzwischen Barnabas von Brunswick als Gehilfe
nach vielen Bitten aufgenommen worden, allerdings nur in der Weise, daß er
abends im Dunkel die Aufträge abholte und wieder im Dunkel die Arbeit
zurückbrachte – es ist zuzugeben, daß Brunswick hier eine gewisse Gefahr für
sein Geschäft unseretwegen auf sich nahm, aber dafür zahlte er ja dem
Barnabas sehr wenig, und die Arbeit des Barnabas ist fehlerlos -, doch
genügte der Lohn knapp nur, um uns vor völligem Verhungern zu bewahren.
Mit großer Schonung und nach viel Vorbereitungen kündigten wir dem Vater
die Einstellung unserer Geldunterstützungen an, aber er nahm es sehr ruhig
auf. Mit dem Verstand war er nicht mehr fähig, das Aussichtslose seiner
Interventionen einzusehen, aber müde war er der fortwährenden
Enttäuschungen doch.
Zwar sagte er – er sprach nicht mehr so deutlich wie früher, er hatte fast zu
deutlich gesprochen -, daß er nur noch sehr wenig Geld gebraucht hätte,
morgen oder heute schon hätte er alles erfahren, und nun sei alles vergebens
gewesen, nur am Geld sei es gescheitert und so fort, aber der Ton, in dem er
es sagte, zeigte, daß er das alles nicht glaubte. Auch hatte er gleich,
unvermittelt neue Pläne. Da es ihm nicht gelungen war, die Schuld
nachzuweisen, und er infolgedessen auch weiter im amtlichen Wege nichts
erreichen konnte, mußte er sich ausschließlich aufs Bitten verlegen und die
Beamten persönlich angehen. Es gab unter ihnen gewiß auch solche mit
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Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik