Page - 175 - in Das Schloss
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bekommen. Zu diesem Zweck mußte man allerdings allabendlich im
Herrenhof sein, und man sah uns nirgends gern, wie erst an einem solchen
Ort; als zahlende Gäste konnten wir ja auch nicht auftreten. Aber es zeigte
sich, daß man uns doch brauchen konnte; du weißt wohl, was für eine Plage
die Dienerschaft für Frieda war, es sind im Grunde meist ruhige Leute, durch
leichten Dienst verwöhnt und schwerfällig gemacht. ›Es möge dir gehen wie
einem Diener‹ heißt ein Segensspruch der Beamten, und tatsächlich sollen,
was Wohlleben betrifft, die Diener die eigentlichen Herren im Schloß sein, sie
wissen das auch zu würdigen und sind im Schloß, wo sie sich unter seinen
Gesetzen bewegen, still und würdig – vielfach ist mir das bestätigt worden -,
und man findet auch hier unter den Dienern noch Reste dessen, aber nur
Reste, sonst sind sie dadurch, daß die Schloßgesetze für sie im Dorf nicht
mehr vollständig gelten, wie verwandelt; ein wildes, unbotmäßiges, statt von
den Gesetzen von ihren unersättlichen Trieben beherrschtes Volk. Ihre
Schamlosigkeit kennt keine Grenzen, ein Glück für das Dorf, daß sie den
Herrenhof nur über Befehl verlassen dürfen, im Herrenhof selbst aber muß
man mit ihnen auszukommen suchen; Frieda nun fiel das sehr schwer, und so
war es ihr sehr willkommen, daß sie mich dazu verwenden konnte, die Diener
zu beruhigen; seit mehr als zwei Jahren, zumindest zweimal in der Woche,
verbringe ich die Nacht mit den Dienern im Stall. Früher, als der Vater noch
in den Herrenhof mitgehen konnte, schlief er irgendwo im Ausschankzimmer
und wartete so auf die Nachrichten, die ich früh bringen würde. Es war wenig.
Den gesuchten Boten haben wir bis heute noch nicht gefunden, er soll noch
immer in den Diensten Sortinis sein, der ihn sehr hochschätzt, und soll ihm
gefolgt sein, als sich Sortini in entferntere Kanzleien zurückzog. Meist haben
ihn die Diener ebensolange nicht gesehen wie wir, und wenn einer ihn
inzwischen doch gesehen haben will, ist es wohl ein Irrtum. So wäre also
mein Plan eigentlich mißlungen und ist es doch nicht völlig, den Boten haben
wir zwar nicht gefunden, und dem Vater haben die Wege in den Herrenhof
und die Übernachtungen dort, vielleicht sogar das Mitleid mit mir, soweit er
dessen noch fähig ist, leider den Rest gegeben, und er ist schon seit fast zwei
Jahren in diesem Zustand, in dem du ihn gesehen hast, und dabei geht es ihm
vielleicht noch besser als der Mutter, deren Ende wir täglich erwarten und das
sich nur dank der übermäßigen Anstrengung Amalias verzögert. Was ich aber
doch im Herrenhof erreicht habe, ist eine gewisse Verbindung mit dem
Schloß; verachte mich nicht, wenn ich sage, daß ich das, was ich getan habe,
nicht bereue. Was mag das für eine große Verbindung mit dem Schloß sein,
wirst du dir vielleicht denken. Und du hast recht; eine große Verbindung ist es
nicht. Ich kenne jetzt zwar viele Diener, die Diener aller der Herren fast, die
in den letzten Jahren ins Dorf kamen, und wenn ich einmal ins Schloß
kommen sollte, so werde ich dort nicht fremd sein. Freilich, es sind nur
Diener im Dorf, im Schloß sind sie ganz anders und erkennen dort
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Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik