Page - 179 - in Das Schloss
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unmöglich sei, daß mich die Behörde so mißverstehe oder daß sie, wenn sie
es tun sollte, es dann mit Absicht tun würde, das heißt, daß dann von
vornherein ohne nähere Untersuchung alles, was ich tue, verworfen sei. So
ließ ich also nicht ab, und der Ehrgeiz des Barnabas tat das seine. In dieser
Zeit der Vorbereitungen wurde Barnabas so hochmütig, daß er die
Schusterarbeit für sich, den künftigen Kanzleiangestellten, zu schmutzig fand;
ja, daß er es sogar wagte, Amalia, wenn sie ihm, selten genug, ein Wort sagte,
zu widersprechen, und zwar grundsätzlich. Ich gönnte ihm gern diese kurze
Freude, denn mit dem ersten Tag, an welchem er ins Schloß ging, war Freude
und Hochmut, wie es leicht vorauszusehen gewesen war, gleich vorüber. Es
begann nun jener scheinbare Dienst, von dem ich dir schon erzählt habe.
Erstaunlich war es, wie Barnabas ohne Schwierigkeiten zum erstenmal das
Schloß oder richtiger jene Kanzlei betrat, die sozusagen sein Arbeitsraum
geworden ist. Dieser Erfolg machte mich damals fast toll, ich lief, als es mir
Barnabas abends beim Nachhausekommen zuflüsterte, zu Amalia, packte sie,
drückte sie in eine Ecke und küßte sie mit Lippen und Zähnen, daß sie vor
Schmerz und Schrecken weinte. Sagen konnte ich vor Erregung nichts, auch
hatten wir ja schon so lange nicht miteinander gesprochen, ich verschob es
auf die nächsten Tage. An den nächsten Tagen aber war freilich nichts mehr
zu sagen. Bei dem so schnell Erreichten blieb es auch. Zwei Jahre lang führte
Barnabas dieses einförmige, herzbeklemmende Leben. Die Knechte versagten
gänzlich, ich gab Barnabas einen kleinen Brief mit, in dem ich ihn der
Aufmerksamkeit der Knechte empfahl, die ich gleichzeitig an ihre
Versprechungen erinnerte, und Barnabas, sooft er einen Knecht sah, zog den
Brief heraus und hielt ihn ihm vor, und wenn er auch wohl manchmal an
Knechte geriet, die mich nicht kannten, und wenn auch für die Bekannten
seine Art, den Brief stumm vorzuzeigen – denn zu sprechen wagte er oben
nicht -, ärgerlich war, so war es doch schändlich, daß niemand ihm half, und
es war eine Erlösung, die wir aus eigenem uns freilich auch und längst hätten
verschaffen können, als ein Knecht, dem vielleicht der Brief schon einige
Male aufgedrängt worden war, ihn zusammenknüllte und in einen Papierkorb
warf. Fast hätte er dabei, so fiel mir ein, sagen können: ›Ähnlich pflegt ja
auch ihr Briefe zu behandeln.‹ So ergebnislos aber diese ganze Zeit sonst war,
auf Barnabas wirkte sie günstig, wenn man es günstig nennen will, daß er
vorzeitig alterte, vorzeitig ein Mann wurde; ja, in manchem ernst und
einsichtig über die Mannheit hinaus. Mich macht es oft sehr traurig, ihn
anzusehen und ihn mit dem Jungen zu vergleichen, der er noch vor zwei
Jahren war. Und dabei habe ich gar nicht den Trost und Rückhalt, den er mir
als Mann vielleicht geben könnte. Ohne mich wäre er kaum ins Schloß
gekommen, aber seit er dort ist, ist er von mir unabhängig. Ich bin seine
einzige Vertraute, aber er erzählt mir gewiß nur einen kleinen Teil dessen, was
er auf dem Herzen hat. Er erzählt mir viel vom Schloß, aber aus seinen
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Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik