Page - 181 - in Das Schloss
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als daß er einen Brief an dich zur Bestellung bekommen hat. Aber es ist
freilich der erste Brief, die erste Arbeit, die er überhaupt je bekommen hat.«
Olga brach ab. Es war still, bis auf das schwere, manchmal röchelnde Atmen
der Eltern. K. sagte nur leichthin, wie zur Ergänzung von Olgas Erzählung:
»Ihr habt euch mir gegenüber verstellt. Barnabas überbrachte den Brief wie
ein alter, vielbeschäftigter Bote, und du ebenso wie Amalia, die diesmal also
mit euch einig war, tatet so, als sei der Botendienst und die Briefe nur
irgendein Nebenbei.« – »Du mußt zwischen uns unterscheiden«, sagte Olga.
»Barnabas ist durch die zwei Briefe wieder ein glückliches Kind geworden,
trotz allen Zweifeln, die er an seiner Tätigkeit hat. Diese Zweifel hat er nur
für sich und mich; dir gegenüber aber sucht er seine Ehre darin, als wirklicher
Bote aufzutreten, so wie seiner Vorstellung nach wirkliche Boten auftreten. So
mußte ich ihm zum Beispiel, obwohl doch jetzt seine Hoffnung auf einen
Amtsanzug steigt, binnen zwei Stunden seine Hose so ändern, daß sie der
enganliegenden Hose des Amtskleides wenigstens ähnlich ist und er darin vor
dir, der du in dieser Hinsicht natürlich noch leicht zu täuschen bist, bestehen
kann. Das ist Barnabas. Amalia aber mißachtet wirklich den Botendienst, und
jetzt, nachdem er ein wenig Erfolg zu haben scheint, wie sie an Barnabas und
mir und unserem Beisammensitzen und Tuscheln leicht erkennen kann, jetzt
mißachtet sie ihn noch mehr als früher. Sie spricht also die Wahrheit, laß dich
niemals täuschen, indem du daran zweifelst. Wenn aber ich, K., manchmal
den Botendienst herabgewürdigt habe, so geschah es nicht mit der Absicht,
dich zu täuschen, sondern aus Angst. Diese zwei Briefe, die durch des
Barnabas Hand bisher gegangen sind, sind seit drei Jahren das erste,
allerdings noch genug zweifelhafte Gnadenzeichen, das unsere Familie
bekommen hat. Diese Wendung, wenn es eine Wendung ist und keine
Täuschung – Täuschungen sind häufiger als Wendungen -, ist mit deiner
Ankunft hier im Zusammenhang, unser Schicksal ist in eine gewisse
Abhängigkeit von dir geraten, vielleicht sind diese zwei Briefe nur ein
Anfang, und des Barnabas Tätigkeit wird sich über den dich betreffenden
Botendienst hinaus ausdehnen – das wollen wir hoffen, solange wir es
dürfen -; vorläufig aber zielt alles nur auf dich ab. Dort oben nun müssen wir
uns mit dem zufriedengeben, was man uns zuteilt, hier unten aber können wir
doch vielleicht auch selbst etwas tun, das ist: deine Gunst uns sichern oder
wenigstens vor deiner Abneigung uns bewahren oder, was das wichtigste ist,
dich nach unseren Kräften und Erfahrungen schützen, damit dir die
Verbindung mit dem Schloß – von der wir vielleicht leben könnten – nicht
verlorengeht. Wie dies alles nun am besten einleiten? Daß du keinen Verdacht
gegen uns faßt, wenn wir uns dir nähern, denn du bist hier fremd und deshalb
gewiß nach allen Seiten hin voll Verdachtes, voll berechtigten Verdachtes.
Außerdem sind wir ja verachtet und du von der allgemeinen Meinung
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Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik