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beeinflußt, besonders durch deine Braut, wie sollen wir zu dir vordringen,
ohne uns zum Beispiel, wenn wir es auch gar nicht beabsichtigen, gegen
deine Braut zu stellen und dich damit zu kränken. Und die Botschaften, die
ich, ehe du sie bekamst, genau gelesen habe – Barnabas hat sie nicht gelesen,
als Bote hat er es sich nicht erlaubt -, schienen auf den ersten Blick nicht sehr
wichtig, veraltet, nahmen sich selbst die Wichtigkeit, indem sie dich auf den
Gemeindevorsteher verwiesen. Wie sollten wir uns in dieser Hinsicht dir
gegenüber verhalten? Betonten wir ihre Wichtigkeit, machten wir uns
verdächtig, daß wir so offenbar Unwichtiges überschätzten und als
Überbringer dieser Nachrichten dir anpriesen, unsere Zwecke, nicht deine
verfolgten, ja, wir konnten dadurch die Nachrichten selbst in deinen Augen
herabsetzen und dich so, sehr wider Willen, täuschen. Legten wir aber den
Briefen nicht viel Wert bei, machten wir uns ebenso verdächtig, denn warum
beschäftigten wir uns dann mit dem Zustellen dieser unwichtigen Briefe,
warum widersprachen einander unsere Handlungen und unsere Worte, warum
täuschten wir so nicht nur dich, den Adressaten, sondern auch unseren
Auftraggeber, der uns gewiß die Briefe nicht übergeben hatte, damit wir sie
durch unsere Erklärungen beim Adressaten entwerteten. Und die Mitte
zwischen den Übertreibungen zu halten, also die Briefe richtig zu beurteilen,
ist ja unmöglich, sie wechseln selbst fortwährend ihren Wert, die
Überlegungen, zu denen sie Anlaß geben, sind endlos, und wo man dabei
gerade haltmacht, ist nur durch den Zufall bestimmt, also auch die Meinung
eine zufällige. Und wenn nun noch die Angst um dich dazwischenkommt,
verwirrt sich alles, du darfst meine Worte nicht zu streng beurteilen. Wenn
zum Beispiel, wie es einmal geschehen ist, Barnabas mit der Nachricht
kommt, daß du mit seinem Botendienst unzufrieden bist und er im ersten
Schrecken und leider auch nicht ohne Botenempfindlichkeit sich angeboten
hat, von diesem Dienst zurückzutreten, dann bin ich allerdings, um den Fehler
gutzumachen, imstande, zu täuschen, zu lügen, zu betrügen, alles Böse zu tun,
wenn es nur hilft. Aber das tue ich dann, wenigstens nach meinem Glauben,
so gut deinetwegen wie unseretwegen.«
Es klopfte. Olga lief zur Tür und sperrte auf. In das Dunkel fiel ein
Lichtstreifen aus einer Blendlaterne.
Der späte Besucher stellte flüsternde Fragen und bekam geflüsterte
Antwort, wollte sich aber damit nicht begnügen und in die Stube eindringen.
Olga konnte ihn wohl nicht mehr zurückhalten und rief deshalb Amalia, von
der sie offenbar hoffte, daß diese, um den Schlaf der Eltern zu schützen, alles
aufwenden werde, um den Besucher zu entfernen. Tatsächlich eilte sie auch
schon herbei, schob Olga beiseite, trat auf die Straße und schloß hinter sich
die Tür. Es dauerte nur einen Augenblick, gleich kam sie wieder zurück, so
schnell hatte sie erreicht, was Olga unmöglich gewesen war.
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Das Schloss
- Title
- Das Schloss
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 246
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik